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Das mittlere Zimmer

Das mittlere Zimmer

Titel: Das mittlere Zimmer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Inge Lempke
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vor der Spüle, eine zweite war einen guten halben Meter davon entfernt, und eine dritte fand ich oben in Hannahs Bett.“
    „Und?“ Rike schüttelte den Kopf und konnte sich in letzter Sekunde davon abhalten, ihre Fi nger in den Mund zu stecken.
    „Liebe Friederike Eberhardt, daraus kann man doch wohl nur einen Schluss ziehen: Sie, Ihr Mann und Ihre Tochter waren nicht fort, Sie waren die ganzen drei Wochen über hier, alle immer an der glei chen Stelle, wie gefangen … wie gefangen in einem Energiefeld … oder in was auch immer. Ich weiß nicht, wie ich es nennen soll, aber war es nicht so? Sagen Sie es mir. Bitte.“
    Rike schau te weiter aus dem Fenster. Der Doktor sollte ihr nicht in die Augen sehen können. Sollte nicht sehen können, wie der Wunsch, alles los zu werden, mit dem Verbot zu reden kämpfte. Immer wieder schüttelte sie den Kopf. Ihre Hände umklammerten den Kaffeebecher, und am liebsten hätte sie ihn gegen die Wand geschleudert! Oder gegen Wolters Kopf! Nein, sie konnte nicht reden! Es ging einfach nicht!
    Ohne den Doktor anzusehen, fauchte sie: „Hören Sie auf mit dem Unsinn! Sie hatten Halluz inationen!“
    Darauf gab Wolter erst einmal keine Antwort. Er schwieg sogar so lange, dass Rike noch ne rvöser wurde. Als sie plötzlich eine Berührung an ihrer linken Hand spürte, zuckte sie zusammen und sah hin.
    Wolter strich mit den Fingerspitzen an ihrer Hand, die den Becher hielt, auf und ab. Diese Berührung hatte nun weiß Gott nichts rein Freundschaftliches mehr! Rike wu rde es nicht nur warm, sondern heiß. Sie blickte auf. Wolter, der seine Brille wieder aufgesetzt hatte, lächelte. Traurig. Liebevoll.
    „Man kann sich schon mal Dinge einbilden, wenn man krank vor Sorge um jemanden ist“, räumte er friedfertig ein, und sein Lächeln wurde noch eine Spur breiter, offener, jünger.
    Rike beschloss, radikal das Thema zu wechseln. „Sie sehen so verändert aus, Dr. Wolter ... so jung. Wie haben Sie das angestellt?“
    Sein Lächeln wurde schwächer. Langsam zog er die Hand zurück. „Nennen Sie mich doch nicht so, ich heiße Johann. Sagen Sie Johann zu mir. Am besten sagst du auch gleich du zu mir.“
    Johann. Was für ein altmodischer Name. Wollte er vom Thema ablenken? „In Ordnung, duzen wir uns, warum nicht. Aber wie kann man sich mit einer Brille und neuen Klamotten zwanzig Jahre jünger machen kann! Wie hast du das angestellt, Johann Wolter?“
    Der Doktor senkte den Blick, als sei er verlegen. „Ich hätte nicht gedacht, dass ich damit alle Leute so beunruhige. Dabei hab ich mir nur die Haare färben und ein paar Falten wegspritzen lassen.“
    „Und was hast du mit deinen Händen gemacht? In einen Jungbrunnen gehalten?“ Rike hatte die Frage kaum ausgesprochen, als sie schon wusste, dass sie keine Antwort bekommen würde.
    Sein Lächeln erlosch vollends, seine Hände verschwanden unter dem Tisch, er sah ihr ernst und mit einer abgründigen Mischung aus Melancholie und Aggressivität in die Augen und behauptete: „Ich hab nichts mit meinen Händen gemacht. Wirklich nicht.“
    „Kannst du es mir nicht sagen? Willst du nicht? Oder darfst du nicht?“
    Johanns rechter, von blonden Barthaaren umstandener Mundwinkel verzog sich kurz zu e inem amüsierten Lächeln, aber er schwieg. Er sah sie nur an. Sah sie lange und unbeirrbar mit seinen viel zu schönen Bernsteinaugen an, und Rike nahm plötzlich die Verbindung zwischen ihnen wahr. Da war etwas zwischen ihnen ... etwas verband sie ... es war ein Geheimnis, von dem sie beide wussten, von dem sie beide aber nur einen Teil kannten, jeder konnte nur seine Seite sehen, und die Seite des anderen nicht.
    Rike spürte, wie die Spannung wuchs, und auf einmal hielt sie es nicht mehr aus. Sie stand auf und fragte: „Möchtest du noch einen Kaffee?“
    „Gern.“
    Nicht zu schnell ging sie zur Arbeitsplatte, nahm die Kanne aus der Kaffeemaschine, die n eben dem Fenster stand, drehte sich wieder um und wäre beinah mit dem Doktor zusammengestoßen, der aufgestanden und sich lautlos hinter sie geschlichen hatte. Der ihr die Kanne aus der Hand nahm und wegstellte. Der seine Arme um sie legte und mit weicher Stimme in ihr Ohr flüsterte: „Vielleicht müssen wir uns erst sehr viel näher kommen, damit wir uns über alle Verbote hinwegsetzen können.“
    Wieder sah er ihr in die Augen, Rike wurde schwindlig, sein Gesicht näherte sich i hrem, seine Lippen berührten ihre, ihr wurde heiß, jeder klare Gedanke verabschiedete sich, und es

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