Das mittlere Zimmer
zuneigung und hitze ist da. Ich nehme sie mit zu me iner kleinen jagdhütte. Dort mache ich sie so glücklich, wie wohl kaum ein anderer mann es zu schaffen vermag.
Dieser Distelrath war ja ganz schön von sich eingenommen! Was hätte wohl Elisabeth zum gleichen Thema zu sagen gehabt?
Rike überflog die nächsten Tagebucheintragungen, in denen viel von Leidenschaft, aber auch von einem zunehmend geistesgestörten Ehemann die Rede war, und las erst wieder konze ntriert weiter, als Distelrath anfing, aus Sorge um Elisabeth das Haus auf der Weide Tag und Nacht zu überwachen.
24.6.1845
Eine ganze nacht und einen ganzen tag saß ich im schuppen neben dem haus und es war nichts. Am ende der zweiten nacht höre ich lautes brüllen und keifen und he ftiges poltern. Dann stille. Das ist gefehrlich. Ich schleiche ins haus. Unten ist niemand aber dann oben ein schuss. Fast wollen mir die knie versagen aber ich piersche die treppe hinauf. In der schlafstube rechts liegt Ellis mann auf dem bett und er hat sich mit einer flinte in den kopf geschossen. Überall bluht. Vor dem fenster hängen vier menschen vom dachbalken herab. Strike um den hals, hände nach hinten gebunden. Ellis füße zuken. So schnell ich kann schneide ich sie vom strik ab und trage sie nach draußen damit sie mehr luft hat.
Sie fängt an zu husten und farbe kommt zurück in ihr gesicht. Sie fragt nach den ki ndern. Ich sage die kinder waren alle schon tot. Elli wird onmächtig und ich bringe sie zu meinem freund der arzt ist.
Rike musste eine Pause einlegen. Solche Beschreibungen waren schwer zu verdauen, waren doch ihre eigenen Erlebnisse denen der Elisabeth so unähnlich nicht. Rike sah auf ihre Uhr: sie hatte noch Zeit. Trotzdem bohrte eine altbekannte Unruhe in ihren Eingeweiden. Was, wenn Johann sie nur in Sicherheit wiegen wollte und schon auf dem Weg hierher war, weil er längst Verdacht geschöpft hatte?!
Rike schaltete die Lampe aus, stand auf, wobei sie merkte, dass ihr rechter Fuß ei ngeschlafen war, und humpelte zum Fenster. Kein Lichtschein, kein Auto. Sie kroch zurück in die Ecke und überflog die nächsten 30 Seiten.
Der Arzt hatte Elisabeth wohl einigermaßen wiederhergestellt und den beiden ger aten, eine Weile vom Dorf fortzugehen, bis sich alles beruhigt hatte. Distelrath und Elisabeth heirateten eine Woche später und ließen sich in Belgien nieder.
An d er Stelle musste sich Rike die nächste Kladde holen. Nach Distelraths Eintragungen verbrachten die beiden einen traumhaften Sommer am Meer, aber ein paar Monate später bekam Distelrath heftige Alpträume.
4.1.1846
Ich versuche nicht mehr zu schlafen. Ich habe schrekliche gräsliche träume. Überall ist bla ues licht manchmal fliest es durch mund und nase und augen in mich hinein. Das ist wie ersticken und ertrinken. Wenn es in mir ist fängt es an zu schreien und zu flehen. Es will mehr e n e r g i. Ich weiß nicht was es meint! Es tut mir weh!
7.1.1846
Ich werde noch verrückt! Ich habe schon Elli in ein anderes Zimmer geschickt zum schlafen damit sie nichts merkt. Das blaue licht quält mich weiter doch ich versteh gar nicht was es will! Gott steh mir bei! Es nimmt mir die luft es fliest in meine lungen es ertrenkt meinen ve rstand!
14.1.1846
Sechs nächte war es da. Ich dachte es wäre aus mit mir. Mein e gliedmaßen taten weh als kaue jemand auf ihnen herum. Dann auf einmal nahm mich das licht mit. Ich schwamm wie durch ein blaues meer unter der erde. Manchmal tauchten wir auf und waren in einem Kellerboden. Ich erkannte sie alle: das haus auf der weide, die wirtschaft, der hof des vaters. Das haus stand leer, die wirtschaft lief nicht gut, der hof hatte zu wenig knechte. Ich versteh das jetzt: das licht will mehr menschen weil es ihnen e n e r g i wegnimmt. Ich weiß nicht wie und wozu.
Aber ich muss ihm helfen denn wir sind verbunden und dafür schenkt es mir jugend.
Rike hielt inne. Wirklich überrascht war sie nicht. Sie war diesem ,Wesen‘ im Keller selbst begegnet. Es hatte nicht mit ihr gesprochen, aber eine Botschaft war angekommen: sprich mit niemandem über das, was du erlebt hast, und denke an die Verheißung.
Die Eri nnerung daran löste wieder das zwiespältige, verdrehte Gefühl von Entsetzen und Sehnsucht aus. Und eine leichte Übelkeit. Distelrath war also zum Verbündeten dieses ... dieses Etwas geworden. Sicher hatte auch er darunter gelitten, aber er hatte dafür ein ungeheuer kostbares Geschenk erhalten.
Rike
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