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Das mittlere Zimmer

Das mittlere Zimmer

Titel: Das mittlere Zimmer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Inge Lempke
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wandte den Kopf. Johanns hässliches Auto. Ihr wurde wieder so schwindlig, dass sie sich auf beide Knie niederließ, um nicht umzufallen. Dann war auch schon Johann da und hielt sie an beiden Schultern fest. „Um Himmelswillen, was ist los mit dir?“
    Sie dachte schon, sie würde sich jetzt mit irgendwelchen hilflosen Stammeleien ve rraten, aber ihr Unterbewusstsein hatte eine Antwort vorbereitet. „Ich wollte einkaufen fahren“, stöhnte sie, „aber ich war noch nicht ganz am Auto, als mir schrecklich schlecht wurde. Ich dachte, ich könnte es noch bis zur Toilette schaffen, aber jetzt hab ich hier draußen alles voll gemacht.“
    Als Johann sie am Arm packte, um ihr beim Aufstehen zu helfen, schrie etwas in ihr: Fass mich nicht an! Fass mich nicht an! Aber eine andere, dominantere innere Stimme befahl ihr: Halt den Mund und lass dir nichts anmerken!
    Während sie sich mit Johanns Hilfe aufrappelte, hörte sie ihn sagen: „Komm Schatz, ich bri nge dich jetzt nach oben, und dann wische ich das hier auf. Keine Widerrede, komm mit.“
    Johann stützte sie, während sie sich die Treppen hinaufschleppte, ein zittriges Schwächeg efühl in den Beinen, im Magen eine dumpf schmerzende Übelkeit, im Kopf immer wieder Panik, sobald sie daran dachte, wer sie da anfasste. Sie war froh, als sie endlich auf ihrem Bett lag.
    „Ich hole dir ein Glas Wasser, und dann mache ich schnell unten sauber“, entschied Johann und breitete eine dünne Decke über ihre Beine. „Das ist sicher ein Magen-Darm-Virus, der gerade im Umlauf ist.“
    Ja, dachte Rike, als er zur Tür hinaus war, ich hab mir einen ganz raffinierten, tödlichen Virus namens Johann Distelrath eingefangen. Sie verschränkte die Hände über dem Magen und schloss die Augen. Ihr Gehirn schien sich immer noch im Schockzustand zu befinden und nicht überschauen zu können (oder zu wollen?), welche Konsequenzen ihre Entdeckung e igentlich hatte.
    Egal. J etzt, in diesem Moment, war es sowieso wichtiger, sich zu überlegen, wie sie sich verhalten sollte, damit Johann nicht misstrauisch wurde. Wie sollte sie mit ihm umgehen, wenn sie kaum seine Anwesenheit ertrug, und seine Berührungen geradezu neuen Brechreiz auslösten?!
    Und da kam er auch schon wieder ins Zimmer und stellte ein Glas mit Wasser auf ihrem Nachttisch ab und eine halbvolle Flasche daneben. „Ich mache jetzt unten sauber, bin gleich wieder da“ , kündigte er an.
    Rike nickte nur und schloss die Augen. Sie döste ein wenig vor sich hin, und ihr Magen ber uhigte sich. Irgendwann hatte sie das Gefühl, dass zwei Hände ihren Kopf umfassten und mit einem Ruck zur Seite drehten. Rike schreckte auf und sah, dass Johann neben dem Bett stand. Er blickte mit gerunzelter Stirn auf sie herab, die Hände auf die Hüften gestützt, Sorge in den hellbraunen Augen.
    „Wie fühlst du dich?“ , wollte er wissen. „Wenn es dir lieber ist, mache ich die Praxis zu, dann kann ich mich um dich kümmern.“
    „Und was willst du die ganze Zeit tun? Händchen halten?“ , entfuhr es Rike schärfer, als sie beabsichtigt hatte.
    „Das klingt, als wär dir das unangenehm.“ Johann sah sie erstaunt an. Aber leuchtete in seinen Augen jetzt nicht doch ein Funken Misstrauen auf?
    „Natürlich nicht. Entschuldige. Ich möchte einfach nur ein bisschen allein sein und schlafen“, beeilte sie sich mit der größtmöglichen Sanftmut zu sagen. „Es geht mir ja schon viel besser. Ich brauche nur ein bisschen Ruhe.
    Johann lächelte eigenartig (oder bildete sie sich da s ein?), meinte: „Wie du willst“, und beugte sich zu ihr hinab, um ihr einen Kuss zu geben.
    Um Gotteswillen! Rike drehte den Kopf weg und warnte Johann: „Was machst du denn, du steckst dich noch an!“
    Er hielt inne, nickte verständnisvoll, ließ ein nicht ganz echtes Lächeln sehen, und ging schließlich wortlos aus dem Zimmer.
    Rike entspannte sich ein wenig. Konnte s ich Johann überhaupt ,anstecken‘? War er jemals krank gewesen, seit sie ihn kannte? Doch, ganz am Anfang, als er noch aussah wie über Sechzig, da hatte er über seine schmerzenden Knie geklagt. Unverwundbar war er anscheinend nicht. Aber vielleicht unsterblich, solange dieses blaue Ding ihm von der Zeitenergie abgab, die es anderen Leuten stahl. Johann musste jetzt deutlich über 200 Jahre alt sein und -
    Glaubte sie eigentlich wirklich und ernsthaft an das, was sie da gerade dachte?! Oder war sie seit Wochen dabei, den Verstand zu verlieren? Ein Mensch, der mehr als 200 Jahre alt war!

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