Das Model und der Scheich
eine Stunde später fiel die Straße steil durch felsiges Gelände in ein Tal ab. Karge Büsche wuchsen an den Hängen. An einigen Stellen sanken die Räder im Schlamm ein, oder es mussten Pfützen durchquert werden.
Gelegentlich verwiesen plätschernde Rinnsale klar darauf, dass es sich um ein Flusstal handelte.
„Im Winter kommt es hier manchmal zu plötzlich einsetzenden Fluten, die sehr gefährlich sind“, erklärte Salih und brach damit das Schweigen. „Vor zwei Jahren gab es hier eine gewaltige Überschwemmung – die schlimmste seit Menschengedenken.
Nicht einmal von den Nomaden ist etwas Vergleichbares überliefert worden.“
„In den Reiseführern steht erst recht nichts“, meinte sie scherzhaft.
Kurz vor Sonnenuntergang eröffnete sich unter dem golden und rot leuchtenden Himmel ein wunderbarer Blick auf das Tal, über dem der Mount Shir wachte. In der Ferne erblickte Desirée einige Zelte am Fuß zweier hoher Felsen.
„Das Camp meines Vaters“, meinte Salih.
Es schien ein sehr modernes Nomadenlager zu sein, denn neben den Zelten sah man auch klimatisierte Wohnwagen. Im Schatten standen die erforderlichen technischen Geräte. Einige Zelte waren modern, andere im Beduinenstil.
Davor lag die eigentliche Ausgrabungsstätte, ein riesiges Areal. Menschen mit Strohhüten arbeiteten angestrengt in der sengenden Sonne.
Als sich Salih und Desirée mit ihrem Geländewagen näherten, sah ein uniformierter Wachmann sie aufmerksam an, erkannte Salih und winkte sie weiter.
„Jetzt muss ich sehen, welche Vorbereitungen für uns getroffen wurden“, meinte Salih und stellte das Auto im Schatten eines großen weißen Wohnwagens ab. „Wahrscheinlich rechnet man noch nicht mit uns. Du kannst im Mannschaftszelt warten, Desi, oder ich bringe dich zu meinem Vater.“
Am liebsten wäre sie im Auto sitzen geblieben, doch dazu war es viel zu heiß.
„Kann ich irgendwo allein sein?“, fragte sie.
„Erst wenn ich weiß, welches dein Wohnwagen ist.“
„Dann bring mich zu deinem Vater“, seufzte sie.
Nachdem sie ausgestiegen waren, führte Salih sie zur Türe des weißen Wohnwagens, der als Büro diente. Im Inneren herrschten vergleichsweise kühle fünfundzwanzig Grad. In dieser angenehmen Temperatur atmete Desirée förmlich auf.
An einem Schreibtisch saß der Archäologe Dr. Khaled al Khouri. Er war ein großer, hagerer Mann mit gefurchter Stirn und markanter Nase. Zusammen mit einer braun gebrannten Studentin, die neben ihm stand, untersuchte er interessiert ein mit Erde und Sand bedecktes Fundstück.
Unbemerkt traten Salih und Desirée ein und beobachteten, wie der Wissenschaftler es mit erfahrenen Handgriffen säuberte. Zum Vorschein kam ein Jahrtausende altes Gefäß, das er liebevoll streichelte und von allen Seiten betrachtete.
Dabei erinnerten seine Hände Desirée an Salihs …
„Sie haben recht, Dina“, sagte er. „Glückwunsch. Prima Arbeit.“
„Danke, Herr Dr. al Khouri.“
Als die junge Frau das Büro verließ, sah sie Desirée an und stieß einen überraschten Schrei aus.
Dr. al Khouri blickte auf. „Ja bitte? – Salih!“
„Desi, das ist mein Vater. Vater, das ist Desirée Drummond – Desi.“
„Hallo, Desi!“, rief Dr. al Khouri erfreut. Er sprang auf, betrachtete sie interessiert – beinahe so wie eben das Fundobjekt – und reichte ihr zur Begrüßung die Hand.
Seine dunklen Augen wirkten freundlich – und so, als ob sie den Dingen bis auf den Grund sehen könnten.
„Welche Freude, dass wir uns endlich kennenlernen! Wir haben schon so viel von Ihnen gehört. Oder darf ich Sie beim Vornamen nennen? Ja? Desi, es ist sehr nett von dir, dass du uns besuchen kommst.“
Da er nicht im Geringsten den Eindruck machte, als ob er ihr misstraute, sah Desirée Salih stirnrunzelnd an.
„Es ist auch sehr nett von Ihnen, dass ich hier sein darf“, sagte sie lächelnd.
Von der Begrüßung war etwas Sand an Desirées Hand kleben geblieben, und sie wischte sie an der Hose ab. Entschuldigend meinte Dr. al Khouri: „In der Archäologie hat man zwangsläufig viel mit Sand und Staub zu tun.“ Mit einem Blick auf seine Armbanduhr fügte er hinzu: „Ich muss meine Runde machen, bevor die Arbeiter für heute aufhören. Möchtest du gleich mitkommen, Desi? Ich schätze, du brennst schon darauf, endlich alles zu sehen.“
Froh, nicht mehr in Salihs Nähe zu sein, bejahte sie. Auch Salih nickte.
„Inzwischen kläre ich, wo wir schlafen“, meinte er. Sie sah ihn warnend an,
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