Das Mönchskraut
man hatte es auch in den Straßen nicht hinausposaunt. Wenn man von einem Mord hörte, nahm man zumeist an, daß der Täter sein Opfer erdolcht hatte. Und der Bursche hatte diese Möglichkeit fraglos akzeptiert.
»Gut! Nun erzähl mir, wie du die Dinge siehst, die heute geschehen sind. Und sei versichert, daß ich dir aufmerksam zuhören werde!«
Der Junge fuhr sich mit der Zunge über die Lippen und begann zu sprechen. Was er zu sagen hatte, stimmte mit Richildis' Bericht überein. Auf Meurigs wohlmeinendes Drängen hin war er zu Bonel gegangen, um mit ihm - seiner Mutter zuliebe - Frieden zu schließen. Ja, er war verbittert und zornig gewesen, weil der Stiefvater ihn um das versprochene Erbe betrogen hatte, denn er liebte Mallilie, hatte dort gute Freunde gefunden und stets beabsichtigt, das Landgut nach bestem Wissen und Gewissen zu verwalten, wenn es ihm einmal gehören sollte. Doch nun begeisterte er sich ebensosehr für das Handwerk, das er erlernte. Sein Stolz verbot es ihm, etwas zu ersehnen, was er nicht haben konnte, oder dem Mann, der sein Versprechen gebrochen hatte, Genugtuung zu verschaffen und um das Erbe zu flehen. Aber weil er seine Mutter liebte, hatte er Meurigs Rat befolgt.
»Davor bist du mit ihm ins Hospital gegangen, wo er seinen alten Onkel Rhys besucht hat«, warf Cadfael ein.
Überrascht und unsicher hob der Junge den Kopf. In diesem Augenblick erhob sich Cadfael von seinem Platz am Feuer und wanderte scheinbar ziellos im Schuppen umher. Unauffällig näherte er sich der angelehnten Tür, durch die eisige Luft hereinwehte.
»Ja ... Ich ...«
»Du warst schon zuvor im Hospital - als du zusammen mit Meurig das Lesepult für unsere Marienkapelle ins Kloster brachtest.«
Verständnislos runzelte der Junge die Stirn. »Ja, das stimmt, aber ...«
Cadfael hatte die Tür erreicht. Er legte eine Hand auf die Klinke und schob die Schulter vor, als wollte er sie ins Schloß drücken, doch dann riß er sie plötzlich weit auf, griff mit der anderen Hand in die Dunkelheit und bekam einen dichten Haarschopf zu fassen. Ein gedämpfter Wutschrei belohnte seine Bemühungen, und der Besitzer des Haarbüschels war zu stolz, um seinem ersten Impuls nachzugeben und die Flucht zu ergreifen. Trotzig richtete er sich auf und folgte der starken Faust bereitwillig in den Schuppen. Es war ein großartiger Auftritt. Mit vorgerecktem Kinn und blitzenden Augen kam er herein und ignorierte verächtlich die Finger, die sich unsanft in seine Locken gegraben hatten.
Der schlanke, kräftige Junge war das Ebenbild des ersten, aber er hatte dunkleres Haar, und aus seinem Blick sprach noch wildere Verzweiflung.
»Master Edwin Gurney?« fragte Cadfael sanft, ließ das braune Haar fast liebevoll los. »Ich habe dich erwartet.« Er schloß die Tür - ganz fest, denn jetzt lauerte niemand mehr da draußen, um zu lauschen und sich das Gehörte zur Warnung dienen zu lassen, um sich wie ein gehetztes kleines Tier im Dunkel zu verbergen. »Setz dich zu deinem Freund - ist er dein Onkel oder dein Neffe? Mit euren Verwandtschaftsverhältnissen werde ich mich niemals auskennen. Nun, jedenfalls sollst du erst mal Platz nehmen und dich beruhigen. Hier ist es wärmer als draußen außerdem seid ihr zu zweit, und ich bin nicht mehr so jung, wie ich es einmal war. Ich werde nicht um Hilfe rufen, um besser mit euch fertig zu werden, und ihr zwei braucht keine Hilfe, um mich kleinzukriegen. Warum sollten wir nicht unsere Wahrheitsversionen zusammenfügen und sehen, was dabei herauskommt?«
Der zweite Junge trug ebenso wie der erste keinen Mantel und zitterte vor Kälte. Ohne zu zögern, eilte er zu der Bank bei der Kohlenpfanne, rieb seine gefühllosen Hände und ließ sich an der Seite seines Gefährten nieder. Als Cadfael sie nebeneinander sah, fiel ihm eine starke Familienähnlichkeit auf, die ihn an die junge Richildis erinnerte, aber sie glichen sich nicht wie ein Ei dem anderen, und man konnte sie keinesfalls miteinander verwechseln. Allerdings, überlegte Cadfael, würde es Schwierigkeiten bereiten, den einen oder anderen zu identifizieren, wenn man ihm allein begegnete.
»Das habe ich mir gedacht«, bemerkte er. »Edwy hat mir also den Edwin vorgespielt, damit Edwin nicht in die Falle tappte - falls sich mein Schuppen als Falle entpuppen sollte, und sich nicht zu erkennen geben mußte, bevor er ganz sicher sein konnte, daß ich ihn weder gefangennehmen noch dem Landrat überantworten werde. Und Edwy hat sich gut auf seine
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