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Das Mönchskraut

Das Mönchskraut

Titel: Das Mönchskraut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ellis Peters
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ausgeworfen hatte, seinen Zweck erfüllen würde. Aber der junge Edwin Gurney brauchte zweifellos einen Freund und Beschützer, der ihn aus dem Morast ziehen würde, in den er gefallen war. Er konnte auch nicht wissen, ob die Bellecotes das Versteck des Jungen kannten, aber Cadfael vermutete, daß die elfjährige Alys - jenes Kind von hausfraulicher Würde und mädchenhafter Schweigsamkeit -, selbst wenn sie nicht das Vertrauen ihres älteren Bruders besaß, über alles informiert war, was er als wohlgehütetes Geheimnis betrachtete. Wo Edwy war, dort würde auch Edwin sein, falls Richildis die beiden wirklichkeitsgetreu beschrieben hatte. Und wenn dem einen Gefahr drohte, würde der andere ihm beistehen. Ein solches Verhalten entsprach einer Tugend, die Cadfael zu schätzen wußte.
    Kein Lüftchen regte sich im nächtlichen Dunkel, und die Morgendämmerung würde einen strengen Frost mit sich bringen. Nur die leise brodelnde Brühe und die raschelnden weiten Kuttenärmel durchbrachen die Stille, während Cadfael in seinem Kessel rührte. Er begann schon zu glauben, daß der Fisch den Köder verschmähte, als er nach zehn Uhr, im schwärzesten Dunkel, plötzlich hörte, wie die Türklinke vorsichtig niedergedrückt wurde. Die Tür öffnete sich einen Spaltbreit, kalte Luft wehte herein. Er saß unbewegt da, um den Eindringling nicht zu erschrecken und womöglich in die Flucht zu schlagen. Nach einigen Sekunden wisperte eine jugendliche Stimme: »Bruder Cadfael?«
    »Ich bin hier«, erwiderte er in ruhigem Ton. »Komm herein und sei mir willkommen.«
    »Bist du allein?« hauchte die Stimme.
    »Ja. Tritt ein und mach die Tür hinter dir zu.«
    Zögernd schlich sich der Junge herein, und Cadfael bemerkte, daß er die Tür nur anlehnte.
    »Ich habe erfahren ...« Er verriet nicht, von wem. »... daß du heute abend mit meiner Schwester und meinem Schwager gesprochen und erwähnt hast, du würdest bis Mitternacht in diesem Schuppen sein. Ich brauche dringend einen Freund ...
    Du sagtest auch, du hättest meine Gr-meine Mutter vor vielen Jahren gekannt - und daß du der Cadfael bist, von dem sie so oft erzählt hat, ihr ehemaliger Verlobter, der an den Kreuzzügen teilnahm ... Glaub mir, ich habe nichts mit dem Tod meines Stiefvaters zu tun! Und ich wußte nicht einmal, daß er gestorben ist - bevor man mir sagte, die Beamten des Landrats würden nach mir suchen, weil sie mich des Mordes verdächtigen. Du sagtest, meine Mutter könnte dir vertrauen und sich auf dich verlassen. Deshalb bin ich zu dir gekommen - weil ich dir ebenfalls vertraue und deine Hilfe brauche. Ich weiß nicht, wohin ich mich sonst wenden soll. Bitte, hilf mir!«
    »Komm hierher zum Feuer«, forderte Cadfael ihn mit sanfter Stimme auf, »und setz dich. Hol erst mal Atem - und dann beantworte mir offen und ehrlich eine Frage. Danach können wir miteinander reden. Schwöre mir bei deinem Seelenheil - daß du die Wahrheit sagen wirst, wenn ich dich jetzt frage: War es deine Klinge, die Master Bonels Herz durchbohrt hat?«
    Der Junge hatte sich auf der Kante einer Bank niedergelassen, fast in greifbarer Nähe, aber nicht ganz. Der Widerschein der Kohlenflamme, die über sein Gesicht und seinen Körper zuckte, zeigte Cadfael einen sehnigen Burschen, sehr schlank und groß für sein Alter, gekleidet wie die ländliche Jugend in ein kurzes Wams und lange Hosen. An seinem Rücken hing eine Kapuze, das dichte, lockige Haar war unbedeckt. Im Feuerschein schimmerte es kastanienrot, bei Tageslicht mochte es mittelbraun sein, wie luftgetrocknetes Ebenholz. Sein Gesicht war am Kinn und um die Wangen herum noch kindlich gerundet, doch die wohlgeformten Knochen ließen bereits auf männliche Reife schließen. In diesen Minuten wurde dieses Gesicht von zwei großen Augen beherrscht, die Bruder Cadfaels Blick unerschütterlich standhielten.
    In feierlichem Ernst entgegnete der Junge: »Ich habe niemals die Hand gegen ihn erhoben. Er hat mich in Gegenwart meiner Mutter beleidigt, und damals haßte ich ihn. Aber ich habe ihn niemals angerührt. Das schwöre ich bei meiner Seele.«
    Auch junge Menschen, die klug und geistesgegenwärtig und voller Angst sind, können ihre Umwelt mit geschickten Täuschungsmanövern hinters Licht führen, um sich zu schützen. Aber Cadfael war bereit, einen heiligen Eid darauf abzulegen, daß er nicht belogen wurde. Der Junge wußte nicht, wie Gervase Bonel ums Leben gekommen war. Das würde man seiner Familie nicht mitgeteilt haben, und

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