Das Mönchskraut
will dich sprechen. Bis jetzt haben sie den Jungen noch nicht geschnappt - falls ich dir damit eine große Neuigkeit erzähle.«
»Nun, jedenfalls ist es keine gute Neuigkeit, daß er mit mir reden will«, meinte Cadfael und kletterte behende wie ein junger Bursche die Heubodenleiter herab. »Was will er? Und wie ist er gelaunt?«
»Ich glaube nicht, daß er es auf dich abgesehen hat«, entgegnete Mark nachdenklich. »Natürlich ärgert er sich, weil er den Jungen noch nicht gefunden hat, aber heute interessiert er sich hauptsächlich für Kleinigkeiten - zum Beispiel für das Öl in deinem Schuppen. Er fragte mich, ob mir in letzter Zeit was aufgefallen und ob eine gewisse Menge von dem Öl verschwunden sei. Aber, wie du sicher bezeugen kannst, bin ich ein schlampiger Gehilfe, der so etwas nicht merkt. Aber der Wachtmeister bildet sich ein, daß du genau über den Verbleib des Öls informiert bist - bis zum letzten Tropfen.«
»Dann ist er ein Narr. Ein Schluck genügt, um einen Menschen zu töten. Und wie soll man feststellen, ob in einer großen Flasche, die man nicht einmal mit zwei Händen umspannen kann, ein so winziges Quantum fehlt? Aber wir können zumindest herausfinden, was in seinem Gehirn vorgeht und womit er beweisen möchte, daß er den Fall gelöst hat.«
Im Schuppen steckte der Wachtmeister seinen buschigen Bart mitsamt der Habichtsnase vorsichtig in Cadfaels Säcke, Krüge und Töpfe. Wenn er auch diesmal keine Eskorte mitgebracht hatte, mußte er sie im Klosterhof oder an der Pforte zurückgelassen haben.
»Vielleicht kannst du uns helfen, Bruder«, meinte er, als Cadfael eintrat. »Es wäre ein großer Fortschritt, wenn wir feststellen könnten, aus welchem deiner Ölvorräte das Gift genommen wurde. Dein junger Gehilfe war außerstande mir mitzuteilen, ob es aus diesem Schuppen gestohlen wurde. Darf ich auf eine aufschlußreichere Erklärung deinerseits hoffen?«
»In diesem Zusammenhang nicht«, entgegnete Cadfael ohne Umschweife. »Man benötigt nur eine geringe Menge, um einen Menschen zu ermorden, und wie du siehst, ist mein Vorratslager gut bestückt. Niemand könnte mit absoluter Sicherheit sagen, ob irgend jemand unbefugterweise hier eingedrungen ist und ein kleines Quantum Eisenhutöl entwendet hat. Eins kann ich dir allerdings verraten. Gestern prüfte ich den Flaschenhals und den Stöpsel des Behälters, in dem ich das Öl verwahre, und am Rand war kein Tropfen zu sehen. Ich bezweifle, daß sich ein Dieb, der es doch sicher eilig hat, soviel Zeit nehmen und den Flaschenhals sauber abwischen würde - so wie ich es immer mache, bevor ich die Flasche zustöpsle.«
Der Wachtmeister nickte, da sich diese Information mit seiner Überzeugung deckte. »Dann wurde das Gift also aus dem Hospitalvorrat gestohlen. Die Flasche dort ist viel kleiner als diese hier, also müßte leichter zu erkennen sein, ob was fehlt. Aber dort kann sich niemand zu einer klaren Aussage entschließen. Das Öl ist zur Zeit sehr beliebt bei den alten Patienten. Wer kann also feststellen, ob es nicht öfter benutzt wurde, als man sich zu erinnern glaubt?«
»Ich fürchte, deine Ermittlungen sind problematisch, und du kommst nur langsam voran.«
»Wir haben den Täter noch nicht aufgespürt und auch keine Ahnung, wo er sich verstecken könnte. In der näheren Umgebung von Bellecotes Haus konnten wir keine Spur von Edwin Gurney finden, und das Pferd des Zimmermanns steht im Stall. Ich glaube, der Bursche ist immer noch in der Stadt.
Wir beobachten die Werkstatt und die Stadttore, außerdem behalten wir das Haus seiner Mutter im Auge. Jedenfalls werden wir ihn schnappen - das ist nur noch eine Frage der Zeit.«
Cadfael setzte sich auf eine seiner Bänke und stützte die Hände auf seine Knie. »Du bist also überzeugt, daß er der Mörder ist - obwohl auch vier andere Leute im Haus waren und noch viel mehr Personen die tödliche Wirkungsweise des Öls kannten. Sicher, ich weiß, daß du einiges gegen den Jungen vorbringen kannst. Ich könnte dir weitere Verdächtige nennen, aber das werde ich nicht tun. Statt dessen werde ich Beweise vorlegen, keine Verdachtsmomente - Beweise, die sich nicht gegen ein auserkorenes Opfer richten, sondern gegen den wahren Schurken, wer immer er auch sein mag. Die Tatzeit läßt sich leicht eingrenzen. Der Schuldige hatte höchstens eine halbe Stunde Zeit, um sein Verbrechen zu begehen. Ich sah mit eigenen Augen, wie der Diener das Essen aus der Küche des Abtes holte und zur Pforte
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