Das Mönchskraut
bebauen, wuchs dichtes Gebüsch, und das hohe Gras reichte bis zum Wasserrand hinab. Sie durchkämmten den Uferstreifen, den eine dünne weiße Eisschicht auf dem Wasser verbreiterte, bis es dunkel wurde und die Glocke zur Abendandacht läutete. Aber sie fanden nichts Kleines, vergleichsweise Schweres, das im Mittagslicht aufblitzen würde, wenn es durch die Luft flog - nichts, was mit jenem geheimnisvollen Gegenstand identisch sein könnte, den Edwin auf der Flucht weggeworfen hatte.
Nach dem Abendessen verzichtete Cadfael erneut auf die Teilnahme an der Bibellesung und lief mit einem Stück Brot, etwas Käse und einer Bierflasche zum Klosterstall auf dem Pferdemarktplatz. Die Nacht war klar, aber dunkel, denn der Mond war noch nicht aufgegangen. Eine helle Frostschicht würde den Platz am nächsten Morgen bedecken, und der Eisstreifen am Ufer des Severn würde noch breiter sein.
Er klopfte dreimal an die Dachbodentür. Nichts rührte sich, was er nur begrüßte. Er öffnete die Tür und drückte sie lautlos hinter sich zu. In der Dunkelheit konnte er nichts sehen, aber er roch den frischen, sauberen Duft des Heus, und ein leises Rascheln verriet ihm, wo sich der Junge erhob, um ihm entgegenzugehen. Er wandte sich in die Richtung, aus der das Geräusch gekommen war. »Fürchte dich nicht, ich bin's - Cadfael.«
»Ich wußte es«, antwortete Edwins Stimme. »Ich wußte, daß du kommen würdest.«
»Ist dir der Tag sehr lang geworden?«
»Ich habe die meiste Zeit geschlafen.«
»Wunderbar! Wo bist du ...? Ah!« Cadfael berührte einen Ärmel, ergriff eine Hand, die ihn willkommen hieß. »Setzen wir uns, und halten wir uns nicht mit langen Vorreden auf, denn die Zeit ist knapp. Aber während wir beisammen sind, wollen wir es uns zumindest bequem machen. Hier habe ich dir etwas zu essen und zu trinken mitgebracht.« Unsichtbare Hände griffen dankbar nach den Gaben. Der Mönch und sein Schützling ließen sich nebeneinander im Heu nieder.
»Hast du gute Nachrichten für mich?« fragte Edwin atemlos.
»Noch nicht. Aber ich muß dir eine Frage stellen, junger Mann. Warum hast du mir nur die Hälfte der Geschichte erzählt?«
Edwin hatte gerade herzhaft in das Brot gebissen. Nun spürte Cadfael, wie der Junge erschrocken zusammenzuckte.
»Das habe ich nicht getan! Ich habe dir die ganze Wahrheit gesagt! Warum hätte ich dir etwas verschweigen sollen - wo ich doch zu dir kam, um deine Hilfe zu erbitten?«
»Ja, warum? Aber der Wachtmeister sprach mit einem gewissen Kutscher. Dieser Mann war gerade aus der Stadt und auf die Brücke gefahren, als du aus dem Haus deiner Mutter ranntest. Er erklärte, du hättest etwas in den Fluß geworfen.
Stimmt das?«
Ohne zu zögern, entgegnete der Junge: »Ja!« Seine Stimme klang verwirrt, verlegen und besorgt. Cadfael glaubte sogar zu wissen, was er im Dunkeln nicht sehen konnte - daß Edwin errötete, nicht aus Schuldbewußtsein, weil er den Zwischenfall nicht erwähnt hatte, sondern weil er zufällig bei einer Dummheit ertappt worden war.
»Warum hast du mir das gestern nicht anvertraut? Wenn ich Bescheid gewußt hätte, wäre es mir leichter gefallen, dir zu helfen.«
»Warum hätte ich davon sprechen sollen?« Nun schwang Trotz in Edwins Stimme mit. »Es hatte nichts mit dem Mord zu tun - und ich wollte es ganz schnell vergessen ... Aber ich sage es dir, wenn es eine so große Rolle spielt. Es ist nichts Schlimmes.«
»Es spielt eine sehr große Rolle - was du allerdings nicht wissen konntest, als du das Ding weggeworfen hast.« Cadfael beschloß, ihm den Grund zu verraten und ihm dadurch zu zeigen, daß er nicht an ihm zweifelte. »Der Wachtmeister glaubt, daß du ein leeres Giftfläschchen verschwinden lassen wolltest. Also sag mir lieber, was es wirklich war, und ich will versuchen, ihm klarzumachen, daß er auf der falschen Spur ist.«
Der Junge saß ganz still da - keineswegs erschüttert von diesem neuen Schicksalsschlag inmitten eines Leids, dessen Höhepunkt ihn bereits heimgesucht hatte, ohne seine Widerstandskraft zu schwächen. Geistesgegenwärtig erkannte er, welche Bedeutung jener kleine Gegenstand für Cadfael und für ihn selbst erlangen könnte. Langsam fragte er: »Und dir muß ich das nicht klarmachen?«
»Nein. Für einen kurzen Augenblick wurde ich stutzig -aber nicht länger. Und nun sag es mir endlich!«
»Ich wußte es nicht! Wie hätte ich wissen sollen, was geschehen würde!« Er holte tief Atem, und die Anspannung wich aus der Schulter,
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