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Das Mönchskraut

Das Mönchskraut

Titel: Das Mönchskraut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ellis Peters
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zurück.
    Aber in der Luft lag immer noch eine Erinnerung an sommerliche Düfte, und die würzigen Aromen, die sich im Schuppen mischten, wirkten fast betäubend. Cadfael kam oft hierher, um in Ruhe nachzudenken. Er war gewöhnt an die starken, berauschenden Gerüche und nahm sie kaum wahr.
    Aber wenn es nötig gewesen wäre, hätte er die Quellen aller einzelnen Düfte bestimmen können.
    König Stephen hatte also seinen alten Groll nicht vergessen, und Abt Heribert sollte der Sündenbock für Shrewsburys Widerstand gegen die Inthronisierung des Regenten sein. Von Natur aus war Stephen kein rachsüchtiger Mann. Vielleicht wollte er dem päpstlichen Gesandten schmeicheln, nachdem Innozenz ihn als König von England anerkannt hatte, und sich im Kampf gegen seine Rivalin, Kaiserin Maud, der Unterstützung des Vatikans versichern, einer Waffe, die man nicht unterschätzen durfte. Diese entschlossene Frau würde nicht so leicht aufgeben und ihren Anspruch mit Nachdruck in Rom vertreten, so daß sich der Papst vielleicht anders besinnen könnte. Deshalb würde man Alberic von Ostia, der die Kirche reformieren wollte, keine Steine in den Weg legen. Und Heribert könnte das Opfer sein, das man dem Fanatismus des Kardinalbischofs bringen würde.
    Ein weiterer Sachverhalt drängte sich immer wieder in Cadfaels Überlegungen - die Position der sogenannten Klostergäste, jener Seelen, die - manchmal schon in jungen Jahren - die werktätige Welt verließen und ihr Erbe der Abtei schenkten, um auf deren Grund und Boden ein beschauliches, beschütztes, müßiges Leben zu führen und mit allen lebensnotwendigen Gütern versorgt zu werden, ohne einen Finger zu rühren ... Träumten sie schon jahrelang davon, während sie schweißgebadet lammenden Mutterschafen beistanden, die Ernte einbrachten oder harte Arbeit in irgendwelchen Handelszweigen verrichteten? Träumten sie von einem kleinen irdischen Paradies, wo Mahlzeiten vom Himmel fielen und wo man nichts anderes zu tun brauchte, als im Sommer sonnenzubaden und im Winter mit einem Becher Warmbier am Feuer zu sitzen? Und wenn sie ihr Ziel erreicht hatten - wie lange dauerte die Freude an? Wann hatten sie es satt, nichts zu tun - nichts tun zu müssen? Cadfael konnte es verstehen, wenn sich ein Blinder, Lahmer oder Kranker zu einer solchen Lebensweise entschloß. Aber daß es gesunde, kräftige Leute gab, die dem Müßiggang frönen wollten, würde ihm immer ein Rätsel bleiben. Es mußte noch andere Beweggründe geben. Nicht jeder stand in dem Wahn, daß Trägheit dasselbe bedeutete wie Glück. Was sonst konnte einen Menschen zu einer solchen Entscheidung treiben? Der Wunsch nach einem Erben? Eine gewisse Vorliebe für das Klosterleben, wobei der Mut fehlte, es in letzter Konsequenz zu führen? Vielleicht! Ein verheirateter Mann im vorgeschrittenen Alter, der sich bereits Gedanken über sein Ende machte, könnte sich von solchen Erwägungen leiten lassen. So manche Männer hatten Mönchskutten angezogen, nachdem sie Kinder und Enkel bekommen und ein ereignisreiches Leben geführt hatten. Der Gästestatus könnte ein Markstein auf diesem Weg sein. Oder war es denkbar, daß sich ein Mann seines Lebenswerks beraubte, weil er der Welt grollte, einem unbotmäßigen Sohn oder der Bürde, mit seiner eigenen Seele zurechtkommen zu müssen?
    Bruder Cadfael schloß den kräftigen Duft des Weißen Andorns, aus dem er eine Hustenmedizin brauen wollte, im Schuppen ein und ging mit ernster Miene zum Hochamt.
    An einem grauen Morgen ritt Abt Heribert auf der Londoner Straße dahin und kehrte Shrewsbury den Rücken. Zum erstenmal in diesem Herbst war das Gras von einer Frostschicht bedeckt. Bruder Emanuel, sein Schreiber, und die beiden dienstältesten Laienbrüder begleiteten ihn. Er saß auf seinem weißen Maultier und gab sich fröhlich, als er aufbrach, und machte trotzdem eine traurige Figur. Nicht einmal in jüngeren Jahren war er ein guter Reiter gewesen, und jetzt kauerte er in seinem hohen, schaukelnden Sattel, in sich zusammengesunken wie ein kleiner, unzureichend gefüllter Sack. Viele Brüder standen am Klostertor und sahen ihm angstvoll und betrübt nach, bis er aus ihrem Blickfeld verschwunden war. Auch ein paar Schüler waren erschienen und schauten noch unglücklicher drein, denn der Abt hatte Bruder Paul gestattet, die Schule nach seinem eigenen Gutdünken, also höchst duldsam zu leiten. Doch wenn Prior Robert das Regiment übernahm, würde keine einzige Abteilung in diesem Haus

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