Das Mönchskraut
steht dir nicht zu, deine Vorgesetzten zu beurteilen«, sagte er sanft, »zumindest hast du kein Recht dazu, solange du dich nicht in ihre Lage versetzen und diese oder jene Probleme aus ihrem Blickwinkel betrachten kannst. Vielleicht hat Abt Heribert den Prior gebeten, in seine Wohnung zu ziehen. Es wäre doch denkbar, daß dadurch Prior Roberts Autorität als Klosterleiter dokumentiert werden soll, während unser Abt verreist ist. Jene Räume sind jeweils dem geistigen Vater unserer Abtei vorbehalten.«
»Aber Prior Robert ist nicht unser geistiger Vater, noch nicht!
Und wenn Abt Heribert diese Übersiedlung gewünscht hätte, wäre sie bei der Kapitelsitzung zur Sprache gekommen.
Zumindest hätte er es dem Bruder Subprior gesagt. Aber das hat er nicht getan. Ich habe dem Bruder Subprior angesehen, daß er erstaunt und entsetzt war. Er hätte sich niemals solche Freiheiten herausgenommen.«
Wie wahr, dachte Cadfael und zerstampfte emsig Wurzeln in einem Mörser. Bruder Richard, der Subprior, wäre der letzte gewesen, der sich eine solche Willkür angemaßt hätte. Er war ein großer, gutmütiger Mann - und so friedliebend, daß es beinahe schon als Trägheit ausgelegt werden konnte. Niemals würde er von sich aus eine Beförderung anstreben, nicht einmal auf legitime Weise. Bald könnten jüngere, wagemutigere Brüder Mittel und Wege finden, um den Führungswechsel zu ihrem Vorteil zu nutzen. Wenn Richard in der Zelle des Priors nächtigte, die direkt neben dem Schlafsaal lag, würde es so manchem Sünder viel leichter fallen, hinauszuschlüpfen, nachdem man die Lichter gelöscht hatte. Selbst wenn das Vergehen entdeckt werden sollte, würde es der Subprior vermutlich niemals melden, geschweige denn bestrafen. Wann immer Ärgernisse auftauchten, pflegte er Augen und Ohren zu verschließen.
»Die Diener in der Wohnung des Abtes sind ganz verzweifelt«, erzählte Bruder Mark. »Du weißt doch, wie treu sie unserem Abt Heribert ergeben sind, und jetzt werden sie gezwungen, einem anderen zu dienen - noch bevor es offiziell bestätigt wurde, daß unser Abt sein Amt niederlegen muß!
Bruder Henry meint, das wäre Blasphemie. Und Bruder Petrus schaut drein wie fünf Tage Regenwetter und murmelt schauderhaftes Zeug in seine Kochtöpfe. Er sagt, sobald Prior Robert einen Fuß in diese Wohnung gesetzt hätte, würde man Schierlingsgift brauchen, um ihn wieder rauszukriegen, wenn Abt Heribert zurückkommt.«
Das konnte sich Cadfael gut vorstellen. Bruder Petrus war der langjährige Koch des Abtes, ein schwarzhaariger, glutäugiger Barbare aus dem schottischen Grenzland. Er neigte zu ungestümen, maßlosen Äußerungen, die niemand sonderlich ernst nahm - wenn man auch nicht genau wußte, in welchen Fällen es trotz aller Vorbehalte ratsam wäre, auf ihn zu hören.
»Wie du sehr wohl weißt, sagt Bruder Petrus vieles, was er nicht sagen dürfte, aber er meint es niemals böse. Er ist ein ausgezeichneter Koch und wird weiterhin köstliche Speisen auf den Tisch des Abtes bringen - wer immer auch am Kopfende sitzen mag, weil er gar nicht anders kann.«
»Aber glücklich wird er nicht dabei sein«, erwiderte Bruder Mark im Brustton der Überzeugung.
Der friedliche Tagesablauf war zweifellos schwer erschüttert worden. Doch die klösterliche Ordnung war so fest gefügt, daß jeder Bruder, mochte er nun glücklich sein oder nicht, gewissenhaft seinen Pflichten nachging.
»Wenn Abt Heribert in seinem Amt bestätigt wurde und zurückkommt«, sagte Bruder Mark aus einem inbrünstigen Wunschdenken heraus, »wird sich Prior Robert die Nase verrenken.« Der Gedanke, daß dieses edle, strenge Organ plötzlich schief im Gesicht des Priors sitzen könnte wie die mißhandelte Nase eines alten Soldaten, tröstete den jungen Mann und er mußte sogar lachen. Cadfael brachte es nicht übers Herz, mit ihm zu schimpfen, da diese Vision auch für ihn gewisse Reize hatte.
Am Nachmittag kam Bruder Edmund, der Krankenpfleger, in Cadfaels Schuppen, um ein paar Arzneien für seine Patienten zu holen. Der Frost, der auf die milden Tage gefolgt war, hatte einige junge Brüder überrumpelt. Sie litten an einem heftigen Schnupfen, den man nur in den Griff bekommen konnte, wenn man die Opfer isolierte, großteils Mönche, die auf den Berghängen die Schafe hüteten. Vier dieser jungen Männer lagen nun im Hospital, zusammen mit den alten Brüdern, die dort ihre Tage verbrachten und abgesehen von ihren religiösen Pflichten keine Aufgaben mehr zu
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