Das Mönchskraut
warum haben sie ihn nicht gleich in die Stadt gebracht?« Für diese kleine Gnade war er allerdings dankbar, da er selbst in den Klostermauern festsaß.
»Bis jetzt können sie ihm nur beweisen, daß er heute morgen ein Pferd gestohlen hat«, antwortete der Pförtner, »und das ist auf unserem Grund und Boden geschehen. Deshalb ist dafür das Klostergericht zuständig. Morgen werden sie ihn dann holen und wegen Mordes anklagen.«
Bruder Mark folgte ihnen zum Pförtnerhaus, niedergeschlagen und unfähig, ein tröstendes Wort zu sagen.
In seinem Herzen verspürte er ein Gefühl, das Sünde war - Verzweiflung. Er verzweifelte nicht um seiner selbst willen, sondern an der Wahrheit, an der Gerechtigkeit und an der Zukunft der elenden Menschheit. Niemand hatte ihn gebeten, mitzukommen. Trotzdem begleitete er Cadfael und den Pförtner, um an einem Schicksal teilzuhaben, von dem er nicht viel wußte - abgesehen von der Jugend des Betroffenen und der Tatsache, daß Cadfael bedingungslos an ihn glaubte. Das genügte ihm.
Cadfael betrat das Pförtnerzimmer schweren Herzens, aber nicht verzweifelt. Denn Verzweiflung war ein Luxus, den er sich nicht leisten konnte. Alle Augenpaare wandten sich zu ihm, und das war verständlich, denn der Raum war von drückendem Schweigen erfüllt. Roberts gutgemeinte, aber herablassende Ermahnungen waren verstummt, und die Beamten hatten ihren Versuch aufgegeben, den Gefangenen zu einem Geständnis zu bewegen, begnügten sich damit, daß er hinter Schloß und Riegel saß, und freuten sich auf ihre Betten im Hauptquartier.
Die großen, bewaffneten Männer standen zu beiden Seiten eines schlanken Jungen, der kerzengerade auf einer Bank an der Wand saß, in rauhen Wollstoff gekleidet, trotz der kalten Nacht ohne Mütze und Mantel. Sein Gesicht war vom Kaminfeuer gerötet und zeigte, so unglaublich das auch anmuten mochte, einen zufriedenen, selbstgefälligen Ausdruck.
Klare, von dunklen Wimpern umrahmte Augen begegneten Cadfaels Blick - haselnuß-braune Augen, in denen grünliche Pünktchen tanzten. Sein hellbraunes Haar erinnerte an abgelagertes Eichenholz. Er war schmal gebaut und groß für sein Alter, müde und schmutzig und voller blauer Flecken, und es ließ sich unschwer erkennen, daß er am liebsten laut gelacht hätte. Bruder Cadfael betrachtete ihn lange und aufmerksam und begann einiges zu begreifen, zumindest wußte er, daß er sich keine allzu großen Sorgen wegen eines Sachverhalts machen mußte, den er noch nicht verstand. Er sah die Anwesenden der Reihe nach an, und zu guter Letzt wandte er sich an Robert.
»Vater Prior, ich danke dir, daß du nach mir geschickt hast, und ich will die mir auferlegte Pflicht gern erfüllen und dem Gefangenen beistehen. Aber ich muß dir sagen, daß sich diese werten Herren im Irrtum befinden. Ich bezweifle nicht, daß sie die Jagd nach dem Jungen und seine Festnahme wahrheitsgemäß geschildert haben, rate ihnen jedoch, zu überprüfen, wie und wo er den Vormittag verbracht hat, wo er angeblich aus dem Stall der Abtei geflohen ist, auf Mistreß Bonels Pferd. Meine Herren ...« Cadfael drehte sich zu den verwirrten Mitgliedern des Spähtrupps um und erklärte mit ernster Miene: »Ihr habt nicht Edmund Gurney gefangengenommen, sondern Edwy Bellecote, seinen Neffen.«
7. Kapitel
Das Klostergefängnis bestand aus zwei kleinen Zellen hinter dem Pförtnerhaus, sehr sauber und mit Bettbänken eingerichtet, die nicht unbequemer waren als die Lagerstätten der Novizen. Es wurde nur selten benutzt. Nur zur Sommerzeit, wenn der St.-Peter-Markt stattfand, waren die Zellen besetzt, meist von Dienern oder Laienbrüdern, die hier ihren Rausch ausschliefen und ihre geringfügigen Geld-und Freiheitsstrafen widerspruchslos hinnahmen, weil die genossenen Freuden aller nachfolgenden Unbilden wert gewesen waren. Manchmal kam es auch zu ernsthaften Zwischenfällen, wenn haßerfüllte Laienbrüder plötzlich gewalttätig wurden, wenn Diener stahlen oder Novizen gegen das Klostergesetz verstießen. Doch das Klostergericht wurde nicht allzu häufig beansprucht.
In einer der beiden Zellen saßen Bruder Cadfael und Edwy gemütlich beisammen. In die Tür war ein kleines Gitterfenster eingelassen, doch es war unwahrscheinlich, daß sie um diese späte Stunde belauscht wurden. Der Bruder, der den Schlüssel verwahrte, war müde und interessierte sich nicht für die Gründe, die zu Edwys Verhaftung geführt hatten und stellte Cadfael nur vor ein einziges Problem, er
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