Das Mörderschiff
Anthony hier oben nicht mehr ganz richtig«, sagte Susan überzeugt. Verwundert betrachtete ich sie und überlegte, wann ich das letzte Mal mit soviel Autorität und Dogmatismus über Themen gesprochen hatte, von denen ich nichts verstand. Ich konnte mich nicht erinnern. »Wissen Sie, er hat wieder geheiratet, irgend so eine französische Schauspielerin. Sie taugt nichts. Und auf keinen Fall wird sie mit ihm fertig.«
»Susan«, sagte ich ergeben, »Sie sind wirklich wunderbar. Ich glaube, Sie werden niemals begreifen, was ich damit meinte, als ich sagte, daß meine bevorstehende Pensionierung zwischen uns steht. Kennen Sie sie eigentlich gut?«
»Ich habe sie nie getroffen.«
»Das hätten Sie mir nicht zu sagen brauchen. Und der arme alte Sir Anthony, er weiß einfach nicht, was er tut. Das meinen Sie doch?«
»Er ist völlig durcheinander«, verteidigte sie sich. »Er ist ein feiner Kerl, wirklich. Oder er war es.«
»Schließlich hat er nur etwas mit dem Tod von vier Menschen zu tun, ganz abgesehen von seinen eigenen drei Leuten«, sagte ich. Polizeimeister MacDonald hielt ihn für einen guten Mann. Susan ebenfalls. Ich hätte gern gewußt, was sie wohl sagen würde, wenn sie Charlotte Skouras' Rücken sähe. »Wie ist denn die Verpflegung der Gefangenen?«
»Wir haben zwei Köche, die erledigen alles. Das Essen wird ihnen hinuntergebracht.«
»Was ist sonst noch an Personal da?«
»Niemand. Vater mußte alle vor vier Monaten entlassen.«
Das erklärte den Zustand des Badezimmers, das ich gesehen hatte. Ich sagte: »Meine Ankunft im Hubschrauber gestern nachmittag wurde selbstverständlich über Radio der ›Shangri-la‹ gemeldet. Ein Mann mit einem stark zernarbten Gesicht. Wo ist der Sender?«
»Sie wissen wirklich alles, was?«
»Calvert weiß alles. Wo ist der Sender?«
»Neben der Eingangshalle, in einem Raum hinter der Treppe. Aber er ist verschlossen.«
»Ich habe Schlüssel, die sogar die Tore der Bank von England öffnen würden. Einen Augenblick.« Ich ging noch einmal zu dem Raum des Wachtpostens außerhalb des Kellers, wo die Gefangenen untergebracht waren, nahm die Whiskyflasche und gab sie Susan. »Passen Sie gut darauf auf.«
Sie sah mich unbewegt an. »Brauchen Sie das wirklich?«
»O mein Gott, süße Jugend«, sagte ich böse. »Natürlich brauche ich das, ich bin Alkoholiker.«
Ich löste den Strick, der um Harrys Knöchel gebunden war, und half ihm auf die Beine. Er revanchierte sich für diesen Samariterdienst, indem er mit seinem rechten Fuß nach mir zu treten versuchte. Aber die vergangenen fünfzehn Minuten hatten weder seiner Blutzirkulation noch seinem Reaktionsvermögen gutgetan, und so begegnete ich seinem Manöver mit einem Gegentritt. Als ich ihm zum zweitenmal hochhalf, hatte ihn jeder Angriffsgeist verlassen.
»Mußten Sie … mußten Sie das wirklich tun?« Wieder sah sie mich voller Abneigung an.
»Mußte ich? Haben Sie gesehen, was er mir antun wollte?«
»Ihr Männer seid alle gleich.«
»Ach, seien Sie ruhig!« brummte ich. Ich war alt und krank und müde. Und mir fiel auch keine witzige Entgegnung ein.
Der Sender war fabelhaft. Ein großes glänzendes, metallisches Gebilde. Das neueste Modell von RCA. Das gleiche, das Schiffe von mindestens einem Dutzend Nationen benutzen. Ich zerbrach mir nicht den Kopf darüber, woher er gekommen sein mochte. Dem Haufen war alles zuzutrauen. Dann setzte ich mich und begann, den Sender anzustellen. Dabei sah ich auf Susan. »Gehen Sie und holen Sie mir eine Rasierklinge von Ihrem Vater.«
»Sie wollen nicht, daß ich zuhöre, nicht wahr?«
»Denken Sie, was Sie wollen, nur holen Sie mir das Ding.«
Hätte sie einen Rock getragen, dann hätte man sagen können, daß sie aus dem Zimmer rauschte. Die Hosen machten das Rauschen praktisch unmöglich. Der Sender war so groß, daß er von der untersten Langwelle bis zur höchsten Kurzwelle auf jeder Frequenz senden konnte. Ich brauchte nur zwei Minuten, um SPEX zu erreichen. Die Station war das ganze Jahr hindurch Tag und Nacht besetzt. Es war wirklich höchst beachtenswert, daß die Verbrecher mir so ein fabelhaftes Instrument zugespielt hatten.
Sue Kirkside war zurück, bevor ich zu sprechen anfing. Alles in allem verbrachte ich zehn Minuten am Mikrophon. Abgesehen von Codenamen und Kartenreferenzen sprach ich die ganze Zeit Klartext. Das mußte ich, ich hatte kein Buch, und außerdem wurde die Zeit knapp. Ich sprach langsam und deutlich. Gab präzise Anweisungen in
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