Das Mörderschiff
nur in ihre Nähe gehen.«
»Nun, hier kommt jetzt endlich Ihre große Chance. Ziehen Sie sich an und führen Sie mich dahin.«
»Hinunter zu den Kellern?« Entsetzen stand in ihrem Gesicht. »Sind Sie verrückt? Mein Vater hat mir gesagt, daß dort unten Tag und Nacht mindestens drei Mann auf Wache sind.« Jetzt würden es nur noch zwei sein, aber ihre Meinung von mir war schon schlecht genug, deshalb schwieg ich. »Die Wachen sind bewaffnet! Sie müssen verrückt sein. Ich denke nicht daran, dort hinzugehen!«
»Ich habe in Wirklichkeit auch nicht daran geglaubt. Sie lassen Ihren Verlobten einfach sterben, nur weil Sie ein verächtlicher kleiner Feigling sind.« Ich konnte die Verachtung praktisch in meinem Munde schmecken. »Lord Kirkside und der Ehrenwerte Rollinson. Was für ein glücklicher Vater! Und was für ein beneidenswerter Verlobter!«
Sie schlug auf mich ein, und da wußte ich, daß ich gewonnen hatte. Ich sagte, ohne mein Gesicht zu schützen: »Tun Sie das nicht, Sie werden die Wachen wecken. Ziehen Sie sich an.«
Ich erhob mich und setzte mich mit dem Rücken zum Bett. Während sie sich anzog, betrachtete ich die Tür und die Wände. Ich hatte es langsam satt, mir immer wieder von Frauen sagen zu lassen, was für ein schrecklicher Mensch ich sei. »Ich bin fertig«, sagte sie.
Sie hatte sich wieder die gleiche ›Uniform‹ wie am Tag angezogen, eine Art Piratenbluse und die Hosen, aus denen sie, seit sie etwa fünfzehn Jahre zählte, herausgewachsen war. Das alles in genau dreißig Sekunden, und während der ganzen Zeit war kein Nähmaschinen-Geräusch zu hören gewesen. Höchst erstaunlich.
N EUNTES K APITEL
Donnerstag: vier Uhr dreißig bis Tagesanbruch
H and in Hand gingen wir die Treppen hinunter. Ich bin überzeugt, daß ich der letzte Mann gewesen wäre, den sie sich dazu ausgesucht hätte, mit ihr allein auf einer verlassenen Insel zu sein. Aber trotzdem drückte sie sich ziemlich fest an mich.
Am Fuß der Treppe angelangt, wandten wir uns nach rechts. Alle paar Meter machte ich kurz die Taschenlampe an, was eigentlich völlig unnötig war, da Susan jeden Zentimeter des Weges kannte. Am Ende der Halle gingen wir nach links, dem östlichen Flügel zu. Nach achtzig Metern hielten wir an einer Tür zur Rechten an.
»Die Speisekammer«, flüsterte sie. »Dahinter liegt die Küche.«
Ich beugte mich vor und sah durch das Schlüsselloch. Völlige Dunkelheit. Wir betraten die Küche, und ich tastete mit der Taschenlampe den Raum ab. Er war leer.
Susan hatte von drei Wachtposten gesprochen. Der Außenposten, den ich bereits erledigt hatte. Dann der Bursche, der auf den Befestigungen patrouillierte. Nein, sie wußte nicht, was er tat. Aber es war anzunehmen, daß er weder Astronomie betrieb, noch Ausschau nach Fallschirmjägern hielt. Sicher war er im Besitz von Nachtgläsern und spähte nach Fischerbooten oder Jachten aus, die eventuell vorbeikommen könnten, um ehrliche Menschen bei ihrer Arbeit zu stören. In einer Nacht wie dieser würde er kaum etwas sehen können. Der dritte, sagte Susan, bewache die hinteren Küchenräume, wo sich noch ein Eingang zum Schloß befand, außer dem Hauptportal, und von dort führten auch die Treppen zu den Unglücklichen, die sich in den tiefen Kellern befanden.
Der Wachtposten war nicht in den Küchenräumen, das bedeutete, daß er unten in den Kellern sein mußte.
Von der Spülküche führte eine Treppe zu einem aus Steinquadern gemauerten Gang. Rechts von diesem Gang konnte ich einen schwachen Lichtschein wahrnehmen. Susan legte den Finger an die Lippen, und wir bewegten uns lautlos vorwärts bis zum Ende der Treppe. Vorsichtig blickte ich um die Ecke.
Was ich sah, war kein Weg, sondern die unangenehmste Treppe, die ich jemals in meinem Leben gesehen hatte. Sie wurde von zwei oder drei weit auseinander hängenden, ganz schwachen elektrischen Birnen erleuchtet, und an ihrem Fuß schienen sich die Wände zu berühren, so wie Eisenbahnschienen, die in weiter Ferne vermeintlich zusammenstoßen. Vielleicht fünfzehn Meter oder siebzig Stufen weiter unten befand sich das erste Licht, wo ein anderer Gang nach rechts abzubiegen schien. An der Ecke der kleinen verbreiterten Fläche stand ein Hocker, und auf diesem Hocker saß ein Mann. Auf seinen Knien lag ein Gewehr. Die schienen es wirklich mit der schweren Artillerie zu halten.
Ich beugte mich zurück und murmelte Susan zu: »Wohin, in drei Teufels Namen, führen diese Stufen?«
»Selbstverständlich
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