Das Mörderschiff
wollte, daß man sie den ganzen nächsten Tag vor der Küste kreuzen sehen konnte, und es vorzog, einen direkten Vorstoß von See aus zu unternehmen, wenn die Dunkelheit hereinbrach.
Über Nacht hatte sich das Wetter etwas beruhigt. Bei Tagesanbruch verließ Calvert Crinan, und beinah zur gleichen Minute änderte die ›Nantesville‹ ihren Kurs und fuhr wieder nach Osten. Die von Baker und Delmont ausgestrahlten Sendungen kamen noch immer auf die Minute genau. Die letzte Sendung erfolgte um 10 Uhr 22 an diesem Morgen. Danach nichts mehr.«
Onkel Arthur machte eine Pause, und seine Zigarre glühte in der Dunkelheit rot auf. Er hätte sicher ein Vermögen verdienen können, wenn er sich an Transport-Reedereien als Einmann-Leuchtturm verdingt hätte. Dann fuhr er fort, und zwar sehr schnell, als ob er das, was er jetzt zu sagen hätte, nicht besonders gern sagte.
»Wir wissen nicht, was passiert ist. Vielleicht haben sie sich durch irgendeine unvorsichtige Handlung verraten. Ich glaube das aber nicht. Dazu waren sie in ihrem Fach zu gut. Es kann sein, daß ein Mitglied der Mannschaft durch Zufall ihren Aufenthaltsort entdeckte. Aber auch das ist nicht wahrscheinlich, denn ein Mann, der zufällig auf Baker und Delmont stoßen würde, würde lange Zeit auf keinen anderen mehr stoßen. Calvert glaubt, und ich stimme hier mit ihm überein, daß durch einen unglücklichen Zufall der Funker der Piraten das Wellenband, auf dem Baker und Delmont sendeten, genau in dem Augenblick anpeilte, als sie eine ihrer Fünfzehn-Sekunden-Sendungen durchgaben. Bei der Entfernung, in der er sich zu ihrem Sender befand, mußte ihm dabei fast der Kopf zersprungen sein. Die Folge war unausbleiblich.
Der nach der letzten Sendung ausgerechnete Kurs der ›Nantesville‹ zeigt genau zweiundachtzig Grad an. Vermuteter Bestimmungsort – Loch Houron. Voraussichtliche Ankunftszeit – Sonnenuntergang. Calvert hatte infolgedessen knapp ein Drittel der Entfernung der ›Nantesville‹ zurückzulegen. Aber er fuhr mit der ›Firecrest‹ nicht zum Loch Houron, weil er ziemlich sicher war, daß Kapitän Imrie seinen Sender entdecken und annehmen würde, daß wir uns auf seinem Kurs befanden. Calvert war fernerhin ziemlich sicher, falls die ›Nantesville‹ ihren jetzigen Kurs fortsetzte – und er war ziemlich überzeugt, daß sie es tun würde –, daß sie mit jedem Schiff, das auch nur in die Nähe der Einfahrt von Loch Houron käme, kurzen Prozeß machen würde. Entweder durch Rammen oder durch Versenken. Deshalb ankerte er mit der ›Firecrest‹ in Torbay und befand sich, als die ›Nantesville‹ am Eingang von Loch Houron eintraf, mit einem Schlauchboot mit Außenbordmotor in einem Taucheranzug an Ort und Stelle. In der Dunkelheit ging er an Bord. Der Name des Schiffes war jetzt geändert, ebenso die Flagge, das Schiff hatte einen Mast weniger, und die Aufbauten waren umgestrichen worden. Aber es war die ›Nantesville‹.
Am nächsten Tag lagen Calvert und Hunslett wegen stürmischer See in Torbay fest. Am Mittwoch jedoch organisierte Calvert eine Fahndung mit einem Hubschrauber nach der ›Nantesville‹ oder nach einem Platz, wo sie versteckt sein könnte. Er machte einen Fehler. Er hielt es für höchst unwahrscheinlich, daß sich die ›Nantesville‹ noch im Loch Houron befand, da Imrie bekannt war, daß wir über seinen Kurs Bescheid wußten und er deshalb nicht unbegrenzt dort bleiben konnte. Laut Seekarte war Loch Houron der ungeeignetste Platz in Schottland, wo ein halbwegs vernünftiger Mensch ein Schiff verstecken würde. Und deshalb nahm Calvert an, daß sich die ›Nantesville‹ noch am selben Abend, nachdem er sie verlassen hatte, auf den Weg machen würde, in Richtung Carrara Point. Calvert glaubte, daß sie in Loch Houron nur so lange bleiben würde, bis es dunkel genug war, um unbeobachtet den Sund von Torbay zu durchqueren oder um die Südküste der Insel Torbay herum zum Festland zu fahren. Daraufhin konzentrierte er den größten Teil seiner Suche auf das Festland, auf den Sund von Torbay und auf Torbay selbst. Jetzt glaubt er, daß die ›Nantesville‹ noch immer in Loch Houron ist. Wir fahren dorthin, um es herauszufinden.« Wieder glühte seine Zigarre auf. »Das wäre es, meine Liebe. Mit Ihrer gütigen Erlaubnis möchte ich mich jetzt für eine Stunde im Salon hinlegen. Diese nächtlichen Eskapaden …« Er gähnte und sagte: »Ich bin kein junger Bursche mehr, ich brauche meinen Schlaf.«
Das gefiel mir.
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