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Das mohnrote Meer - Roman

Das mohnrote Meer - Roman

Titel: Das mohnrote Meer - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amitav Ghosh
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seinen Eigenheiten war Serang Ali eine Respektsperson, gelegentlich etwas grob, aber im Allgemeinen fair. Und vor allem war er ein hervorragender Seemann. Wer ihn auf diese Weise beleidigte, pisste der ganzen Mannschaft ans Bein. Einige der Männer ballten die Fäuste und machten ein paar Schritte auf den Bara Malum zu, doch der Serang bedeutete ihnen, sich zurückzuhalten. Um die Situation zu entschärfen, kniete er sich hin und begann, das Deck mit seinem bandhnā zu säubern.
    Das alles war so schnell gegangen, dass Zikri Malum erst jetzt aus seiner Kajüte kam. Er lief herbei und sah den Serang auf allen vieren: »He, was ist denn hier los? Was soll der Spektakel?« Dann erblickte er auch den Ersten Steuermann und verstummte.
    Eine ganze Weile beäugten die beiden Offiziere einander aus sicherem Abstand, dann entwickelte sich ein hitziger Streit. Der Bara Malum sah aus, als hätte ihn ein Geitau an der Nase getroffen: Dass ein Sahib sich für einen Laskaren einsetzte,
noch dazu vor so vielen Zeugen, fand er unerträglich. Die Betingstange in der hoch erhobenen Hand, ging er drohend auf Zachary zu: Er war wesentlich größer und auch älter, aber Zikri Malum wich keine Handbreit zurück, sondern ließ den anderen ganz nahe herankommen und zeigte dabei eine Selbstbeherrschung, die den Laskaren Respekt abnötigte. Viele von ihnen dachten sogar, er könne in einer handgreiflichen Auseinandersetzung die Oberhand behalten, und sie hätten es nicht weiter bedauert, wenn es dazu gekommen wäre. Wie immer es ausging: Zwei sich prügelnde Malums wären ein seltenes Erlebnis gewesen, über das sie noch Jahre später gesprochen hätten.
    Jodu gehörte nicht zu denen, die auf einen Kampf hofften, und war deshalb sehr erleichtert, als plötzlich eine andere Stimme erscholl und dem Streit ein Ende setzte: »Auseinander … Genug damit!«
    Da alle zusahen, wie sich die beiden Malums in die Haare gerieten, hatte niemand bemerkt, dass der Kapitän an Bord gekommen war. Jodu fuhr herum und sah einen großen, kahlköpfigen Sahib, der sich an den Wanten festhielt und sichtlich außer Atem war. Er war viel älter, als Jodu gedacht hatte, und offenkundig nicht bei bester Gesundheit, denn er war schweißüberströmt vom Erklimmen des Fallreeps.
    Doch ob gesund oder nicht: Der Kapitän machte dem Streit der beiden Malums mit befehlsgewohnter Stimme ein Ende: »Schluss mit den Albernheiten, ihr zwei! Und zwar sofort!«
    Der Befehl des Kapitäns brachte die beiden Steuermänner zur Vernunft. Sie taten so, als sei nichts weiter passiert, verbeugten sich sogar voreinander und gaben sich die Hand. Als der Kapitän zum Achterdeck ging, folgten sie ihm dichtauf.

    Doch kaum waren die Offiziere verschwunden, kam schon die nächste Überraschung: Steward Pinto, dessen dunkles Gesicht aschgrau geworden war, sagte: »Ich kenne diesen Bara Malum – Mr. Crowle. Bin mal unter ihm gefahren …«
    Die Laskaren sahen einander an, und wie auf Kommando zogen sie sich in die Düsternis der Back zurück und versammelten sich um den Steward.
    »Es ist einige Zeit her«, sagte Steward Pinto, »vielleicht sieben oder acht Jahre. Er wird sich nicht an mich erinnern – ich war damals kein Steward, ich war Smutje, in der Kombüse. Mein Vetter Miguel aus Aldona war auch auf dem Schiff: Er war ein bisschen jünger als ich, noch Kajütsjunge. Eines Tages haben wir bei schlechtem Wetter das Abendessen aufgetragen, und Miguel hat Mr. Crowle mit Suppe bekleckert. Er war außer sich vor Wut und hat gesagt, Miguel tauge nicht zum Kajütsjungen. Er hat ihn am Ohr gepackt und ihn an Deck geschleift, und dann hat er ihm gesagt, dass er von jetzt an oben auf dem Vormast arbeiten wird. Miguel hat die Arbeit nicht gescheut, aber er konnte nicht gut klettern. Der Gedanke, bis zum Royal aufentern zu müssen, hat ihm Todesangst eingejagt. Immer wieder hat er Crowle angefleht, aber der hat sich taub gestellt. Der Serang ist sogar zu ihm hin und hat ihm das Problem erklärt: ›Lassen Sie den Jungen auspeitschen, hat er gesagt, oder lassen Sie ihn die Latrinen putzen, aber schicken Sie ihn nicht da rauf; er kann nicht klettern, er wird sich zu Tode stürzen. Aber damit machte der Serang alles nur noch schlimmer. Wisst ihr, was dieser Scheißkerl Crowle gemacht hat? Weil er jetzt wusste, dass Miguel Angst hatte, hat er ihm das Aufentern noch schwerer gemacht: Er hat die Webeleinen abmachen lassen. Jetzt war die Leiter weg, und man konnte nur noch an den Wanten hochklettern, und

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