Das mohnrote Meer - Roman
sie zu Kalua, »gehen
wir erst zu dem mandir . Eine glückliche Ankunft verlangt ein Gebet.«
Der Tempel bestand aus geflochtenem Bambus und hatte in seiner Schlichtheit etwas beruhigend Anheimelndes. Ditis Schritte beschleunigten sich ungeduldig, doch dann sah sie zu ihrer nicht geringen Verwunderung, dass ein beleibter, langhaariger Mann vor dem Schrein tanzte, im Kreis herumwirbelnd, die Augen in Ekstase geschlossen, die Arme um die Brust geschlungen, als hielte er eine unsichtbare Geliebte. Als er merkte, dass sich jemand näherte, blieb er stehen und riss überrascht die Augen auf. »Was?«, sagte er in stark akzentgefärbtem Hindi. »Kulis? Schon da?«
Er war ein Mann von seltsamer Gestalt, mit einem riesigen Kopf, Segelohren und vorquellenden Augen, die den Eindruck erweckten, als glotze er die Welt um sich herum an. Diti konnte nicht erkennen, ob er wütend oder nur überrascht war, und suchte vorsichtshalber hinter Kalua Schutz.
Der Mann brauchte eine Weile, um Kaluas imponierende Größe zu registrieren, und nachdem er ihn von Kopf bis Fuß gemustert hatte, fragte er in etwas milderem Ton: »Seid ihr Girmitiyas?«
»Jī .« Kalua nickte.
»Wann seid ihr angekommen?«
»Gerade eben«, sagte Kalua. »Wir sind die Ersten.«
»So früh? Wir haben euch erst später erwartet …«
Der Mann vergaß seine frommen Übungen und verfiel schlagartig in hektische Aktivität. »Kommt, kommt!«, rief er heftig gestikulierend. »Ihr müsst euch erst im Daftar registrieren lassen. Kommt mit – ich bin der Gumashta, mir untersteht das Lager.«
Nicht ohne Besorgnis folgten ihm Diti und Kalua zu einer der Baracken. Kaum hatte er die Tür geöffnet, rief er laut:
»Doughty-Sahib, Kulis kommen, Registrierung sofort muss beginnen.« Als keine Antwort kam, eilte er in den Raum und bedeutete Diti und Kalua, ihm zu folgen.
Drinnen standen mehrere Schreibtische und ein einzelner ausladender Plantagenstuhl, in dem ein massiger, hängebackiger Engländer lehnte. Er schnarchte leise, und sein Atem blubberte langsam zwischen seinen Lippen hindurch. Der Gumashta musste mehrmals seinen Namen rufen, ehe er sich regte. »Doughty-Sahib! Sir, bitte aufwachen und aufstehen.«
Mr. Doughty war erst vor einer halben Stunde von einem Bezirksrichter zurückgekommen, bei dem man ihm ein üppiges Mahl und randvolle Humpen Porter und Ale vorgesetzt hatte. Bier und Hitze hatten bewirkt, dass seine Augen nun vom Schlaf verklebt waren, sodass zwischen dem Öffnen des rechten und des linken Auges mehrere Minuten verstrichen. Als er sich der Anwesenheit des Gumashta endlich bewusst wurde, war er nicht zum Scherzen aufgelegt. Man hatte ihn sehr gegen seinen Willen überredet, an der Registrierung der Kulis mitzuwirken, und er war nicht gesonnen, sich ausnutzen zu lassen. »Verdammt noch mal, Baboon! Sehen Sie nicht, dass ich mich gerade ein wenig ausruhe?«
»Was tun, Sir?«, sagte der Gumashta. »Ich nicht wünsche in Ihr Privates eindringen, aber leider nicht zu ändern. Kulis eintreffen wie verrückt. Also Registrierung muss beginnen ohne Verzug.«
Der Lotse drehte ein wenig den Kopf, und als er Kalua erblickte, rappelte er sich hoch. »Na, wenn das nicht ein Badzat in Bara-Größe ist!«
»Ja, Sir. Riesenkerl.«
Leise vor sich hin murmelnd, trat der Lotse an einen der Schreibtische und schlug ein mächtiges, in Leder gebundenes Register auf. Dann tauchte er einen Federkiel ins Tintenfass
und sagte zu dem Gumashta: »Also, Pander, fangen Sie an. Sie kennen ja den Bandobast.«
»Ja, Sir. Ich gebe alle nötigen Informationen.« Der Gumashta nickte zu Diti hin. »Die Frau?«, wandte er sich an Kalua. »Wie heißt sie?«
»Sie heißt Aditi, Malik, sie ist meine Frau.«
»Was hat er gesagt?«, brüllte Mr. Doughty und legte die hohle Hand ans Ohr. »Laut und deutlich bitte.«
»Name der Dame als Aditi gemeldet, Sir.«
»Aditty?« Mr. Doughtys Feder senkte sich auf das Register und begann zu schreiben. »Aditty also. Blöder Name, wenn Sie mich fragen, aber wenn sie so genannt werden will – bitte.«
»Kaste?«, fragte der Gumashta Kalua.
»Wir sind Chamaren, Malik.«
»Bezirk?«
»Ghazipur, Malik.«
»Sie verdammter Affe von einem Baboon«, mischte sich Mr. Doughty ein. »Sie haben vergessen, nach seinem Namen zu fragen.«
»Verzeihung, Sir. Sofort ich korrigiere.« Babu Nob Kissin wandte sich wieder an Kalua. »Und du, wer bist du?«
»Madhu.«
»Wie war das, Pander, was hat der Koloss gesagt?«
Babu Nob Kissin wiederholte den
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