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Das mohnrote Meer - Roman

Das mohnrote Meer - Roman

Titel: Das mohnrote Meer - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amitav Ghosh
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Namen, stolperte aber über die zweite Silbe. »Er heißt Madho, Sir.«
    »Maddow?«
    Der Gumashta ging darauf ein. »Ja, Sir, warum nicht? Ist äußerst passend.«
    »Und wie heißt sein Vater?«
    Die Frage brachte Kalua aus der Fassung. Nachdem er sich den Namen seines Vaters zugelegt hatte, sah er nun als einzigen Ausweg einen Tausch. »Er hieß Kalua, Malik.«

    Den Gumashta stellte die Antwort zufrieden, den Lotsen jedoch nicht. »Und wie um alles in der Welt soll ich das schreiben?«
    Der Gumashta kratzte sich am Kopf. »Wenn ich kann Vorschlag zur Debatte stellen, Sir, warum nicht so? Erst Sie schreiben C-o-l, wie ›coal‹ – Kohle, nein? Dann v-e-r. Colver. So geht.«
    Die rosa Zungenspitze des Lotsen erschien in seinem Mundwinkel, als er die Buchstaben in das Register schrieb. »Alles klar«, sagte er. »So trage ich ihn ein – als Maddow Colver.«
    Diti, die neben ihrem Mann stand, hörte ihn den Namen flüstern, als wäre es nicht seiner, als gehörte er einer anderen Person. Dann wiederholte er ihn mit mehr Überzeugung, und als die Worte zum dritten Mal über seine Lippen kamen, klangen sie schon nicht mehr neu oder ungewohnt. Der Name gehörte nun zu ihm wie seine Haut, seine Augen oder seine Haare: Maddow Colver.
    In der Dynastie, die später ihre Abstammung von ihm herleitete, kursierten zahlreiche Geschichten über den Familiennamen ihres Begründers und über die Frage, warum der Name »Maddow« unter seinen Nachkommen so häufig vorkam. Viele erfanden sich ihre Wurzeln neu und legten sich großartige, fantasiereiche Stammbäume zu, aber es blieben immer einige, die unbeirrt an der Wahrheit festhielten: dass nämlich dieser ehrwürdige Name auf den Versprecher eines geplagten Gumashtas zurückging und auf den Hörfehler eines mehr als beschwipsten englischen Lotsen.

    Die Gefängnisse in Lalbazar und Alipur glichen einander nicht mehr als ein Basar und ein Friedhof. Lalbazar war vom lärmenden Trubel einer der belebtesten Straßen Kalkuttas umgeben,
Alipur dagegen lag in einer öden Gegend am Stadtrand, und die Stille lastete darauf wie ein Sargdeckel. Es war das größte Gefängnis Indiens und ragte festungsgleich über dem schmalen Tolly’s Nala auf, gut sichtbar für Auswanderer auf der Fahrt zum Durchgangslager. Kaum jemand ließ die Augen gern auf diesen Mauern ruhen; so Furcht einflößend war das düstere Gebäude, dass die meisten den Blick abwandten und den Bootsführer sogar dafür bezahlten, sie rechtzeitig zu warnen, wenn es in Sicht kam.
    Tief in der Nacht fuhr die Kutsche vor, die Nil von Lalbazar nach Alipur bringen sollte. Die Fahrt dauerte normalerweise etwa eine Stunde, diesmal aber nahm man einen längeren Weg als sonst, umrundete Fort William und hielt sich an die ruhigen Straßen am Fluss. Man wollte auf diese Weise Störungen vermeiden, denn es war von Sympathiekundgebungen für den verurteilten Raja die Rede gewesen. Davon wusste Nil jedoch nichts; für ihn verlängerte die Fahrt nur eine besondere Art der Folter, bei der sein Wunsch, die Ungewissheit der jüngsten Zeit möge ein Ende nehmen, mit seiner Sehnsucht, diese letzte Fahrt durch die Stadt möge nie zu Ende gehen, im Widerstreit lag.
    Begleitet wurde Nil von einem halben Dutzend Wachen, die sich die Zeit mit obszönen Scherzen vertrieben. Sie taten so, als seien sie eine Hochzeitsgesellschaft, die den Bräutigam nachts zum Haus seiner Schwiegereltern geleitete. Ihre Worte wirkten eingeübt – offenbar hatten sie diese Farce schon bei vielen Gefangenentransporten aufgeführt. Nil ignorierte ihre Sprüche und versuchte, das Beste aus der Fahrt zu machen, doch in der Dunkelheit vor Tagesanbruch war draußen kaum etwas zu sehen, und er musste sich die Route mit dem ans Ufer plätschernden Wasser und dem baumbestandenen Maidan der Stadt weitgehend aus dem Gedächtnis zurückrufen.

    Dann veränderte sich das Geräusch der Räder, und Nil wusste, dass sie den Graben um das Gefängnis überquerten. Seine Finger gruben sich in das rissige Leder des Sitzes. Die Räder kamen knarrend zum Stillstand, der Schlag wurde geöffnet, und Nil spürte, dass im Dunkeln draußen eine große Zahl Menschen wartete. Wie sich die Beine eines Hundes gegen den Zug der Leine stemmen, so krallten sich seine Finger in das Rosshaarfutter des Sitzes und ließen auch dann nicht los, als die Wachen ihn zu schieben und zu stoßen begannen. »Auf! Wir sind da!«, riefen sie. »Die Brautfamilie wartet!« Nil wollte sagen, er sei noch nicht so weit,

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