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Das mohnrote Meer - Roman

Das mohnrote Meer - Roman

Titel: Das mohnrote Meer - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amitav Ghosh
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Säubern der Toiletten benutzt wird und als höchst unrein gilt?‹ Das schreckte ihn jedoch keineswegs ab. Er sagte: ›Dann ist er ja das perfekte Werkzeug für meine Erniedrigung. Er wird an die Schlechtigkeit des Menschen gemahnen, an die Sündigkeit und Verderbtheit unseres Körpers.‹«
    »Na, das ist ja mal eine ganz neue Art, sich einen von der Palme zu holen.«
    »Sie können sich nicht vorstellen, Mr. Reid, wie viel Mühe es gemacht hat, dieses Instrument zu finden. Solche Dinge gibt es nicht auf einem Basar zu kaufen. Erst als ich versuchte, eins zu erwerben, fand ich heraus, dass sie in Heimarbeit hergestellt werden, von denen, die sie benutzen; für andere sind sie so wenig disponibel wie die Instrumente eines Arztes für seine Patienten. Ich musste einen Sweeper holen, und glauben Sie mir: Es war nicht simpel, ihn zu erfragen, denn
das halbe Personal stand dabei und hat darüber diskutiert, wozu ich dieses Objekt wohl brauche. Ob ich etwa die Intention hätte, ein Sweeper zu werden? Sie ihrer Arbeit zu berauben? Kurz und gut: Schließlich gelang es mir, einen solchen Jharu zu beschaffen, letzte Woche. Und vor einigen Tagen nahm ich ihn zum ersten Mal mit in Mr. Burnhams Arbeitszimmer.«
    »Nur Mut, Miss Lambert, erzählen Sie weiter.«
    »O Mr. Reid, wenn Sie dabei gewesen wären, Sie hätten auch notiert, mit welcher Mixtur aus Lust und Antizipation er das Instrument seiner bevorstehenden Oppression betrachtet hat. Es war, wie gesagt, erst vor wenigen Tagen, deshalb weiß ich noch genau, welche Passage er für seine Lektüre ausgewählt hatte. ›Und vollstreckten den Bann an allem, was in der Stadt war, mit der Schärfe des Schwerts, an Mann und Weib, jung und alt, Rindern, Schafen und Eseln.‹ Mr. Burnham gab mir den Jharu in die Hand und sagte: ›Ich bin die Stadt, und dies ist dein Schwert. Schlag mich, züchtige mich, verbrenn mich mit deinem Feuer.‹ Er kniete sich hin wie immer, das Gesicht auf meinen Füßen, sein Poopdeck in der Luft. Wie er sich wand, und wie er schrie, als ich mit dem Besen auf sein Hinterteil einschlug! Sie hätten geglaubt, er leidet Höllenqualen, Mr. Reid, und auch ich selbst war überzeugt, ihm eine schreckliche Blessur zuzufügen. Als ich aber innehielt, um nachzufragen, ob er nicht wünsche, dass ich aufhöre, kreischte er doch tatsächlich: ›Nein, mach weiter! Fester!‹ Da holte ich aus und schlug ihn von Neuem mit dem Jhata, mit aller Kraft – die, das versichere ich Ihnen, nicht unkonsiderabel ist –, bis er schließlich stöhnend zu Boden sank. Welcher Horror!, dachte ich, nun ist das Schlimmste eingetreten! Ich muss ihn getötet haben! Ich beugte mich hinab und flüsterte: ›Oh, armer Mr. Burnham, was ist mit Ihnen?‹ Wie immens war meine Erleichterung,
als er sich regte und den Kopf bewegte. Aber er stand nicht auf, nein, er lag flach auf dem Boden und schlängelte sich über das Parkett wie eine erdbewohnende Kreatur, bis zur Tür. ›Sind Sie verletzt, Mr. Burnham?‹, fragte ich und folgte ihm. ›Haben Sie sich das Rückgrat gebrochen? Warum liegen Sie da am Boden? Warum stehen Sie nicht auf?‹ Er antwortete mit einem Stöhnen: ›Alles in Ordnung, keine Sorge, geh ans Pult und lies die Lektüre noch einmal.‹ Ich gehorchte, aber kaum hatte ich ihm den Rücken zugekehrt, sprang er behände auf, schob den Riegel zurück und eilte die Treppe hinauf. Auf dem Weg zum Pult sah ich etwas Kurioses auf dem Boden, einen langen nassen Fleck, als wäre irgendeine schmale, feuchte Kreatur über das Parkett gekrochen. Da war ich mir sicher, dass in einem Moment der Inattention ein Tausendfüßler oder eine Schlange ins Zimmer eingedrungen war; so etwas kommt in Indien ja bekanntlich oft vor, Mr. Reid. Ich schrie auf, muss ich zu meiner Schande gestehen …«
    Paulette brach erregt ab und drehte den Saum ihres Saris in den Händen. »Vielleicht sinke ich jetzt in Ihrem Respekt, Mr. Reid, denn mir ist sehr wohl bewusst, dass auch eine Schlange genauso ein Geschöpf ist wie eine Blume oder eine Katze – weshalb sollte ich sie also fürchten? Mein Vater hat oft versucht, über dieses Subjekt mit mir zu räsonieren, aber ich muss leider sagen, dass ich mich nicht überwinden konnte, diese Kreaturen zu mögen. Sie werden mich hoffentlich nicht zu hart verurteilen?«
    »Oh, ich bin ganz mit Ihnen einig«, sagte Zachary. »Mit Schlangen ist nicht zu spaßen, ob blind oder sehend.«
    »Dann wird es Sie nicht überraschen«, sagte Paulette, »dass ich schrie und

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