Das mohnrote Meer - Roman
Ehemann.
Während der Zeremonien und auch danach, auf der langen Reise flussaufwärts, ihrem neuen Zuhause entgegen, hatte Diti keine Furcht verspürt. Sie saß im Bug des Schiffes, ihren Hochzeitssari über das Gesicht gezogen, und ein angenehmer Schauer durchlief sie, wenn die Frauen sangen:
Sakhiyā-ho, saiyā more pīse masāla
Sakhiyā-ho, bara mitha lage masāla
O Freunde, meine Liebe mahlt
O Freunde, wie süß ist dies Gewürz!
Die Musik hatte sie begleitet, als sie in einer Sänfte vom Ufer bis an die Schwelle ihres neuen Heims getragen wurde. Von dem Haus hatte sie durch den Schleier ihres Saris nichts gesehen, als sie zu dem girlandengeschmückten Brautbett schritt, aber sie hatte den Duft frischen Strohs wahrgenommen, der die Luft erfüllte. Die Lieder waren immer anzüglicher geworden,
während sie auf ihren Mann wartete. Ihr Hals und ihre Schultern hatten sich in Erwartung des Griffs, der sie auf das Bett drücken würde, versteift. »Mach es ihm schwer beim ersten Mal«, hatten ihre Schwestern gesagt, »sonst lässt er dir später keine Ruhe. Wehr dich, kratz ihn und lass ihn nicht deine Brüste berühren.«
Āg mor lāgal ba
Are sagaro badaniyā
Tas-mas cholī karāī
Barhalā jobanavā
Ich stehe in Flammen
Mein Körper brennt
Meine cholī spannt sich
Um meine erwachenden Brüste …
Als die Tür aufging und Hukam Singh eintrat, saß sie in sicherer Erwartung eines Angriffs zusammengekrümmt auf dem Bett. Doch er überraschte sie: Statt ihren Schleier zu heben, sagte er leise und undeutlich: »Hör zu: Du brauchst dich nicht wie eine Schlange einzurollen. Sieh mich an.«
Sie spähte vorsichtig durch die Falten ihres Saris und sah ihn mit einer holzgeschnitzten Kassette in den Händen neben ihr stehen. Er stellte die Kassette auf das Bett, und als er den Deckel öffnete, stieg ein starker medizinischer Geruch daraus auf, ölig und zugleich erdig, widerlich süß. Opium roch so, das wusste Diti, allerdings war ihr das Aroma noch nie in so machtvoller, konzentrierter Form begegnet.
»Schau!« Hukam Singh zeigte auf das mehrfach unterteilte Innere der Kassette. »Weißt du, was da drin ist?«
»Das ist doch Opium, oder?«, fragte sie und nickte.
»Ja, aber verschiedene Sorten.« Sein Zeigefinger wies auf einen Klumpen normale akbarī von schwarzer Farbe und harter Konsistenz. Dann wanderte er weiter zu einer Kugel madak , einer klebrigen Mischung aus Opium und Tabak. »Das ist das billige Zeug, das in der Pfeife geraucht wird«, sagte er. Als Nächstes nahm er mit beiden Händen einen kleinen, noch in seine Mohnblütenblätter gehüllten Klumpen heraus und berührte Ditis Handfläche damit, um ihr zu zeigen, wie weich er war. »Das machen wir in der Fabrik: chandū . So etwas wirst du hier nicht finden; die Sahibs schicken es übers Meer nach Maha-Chin . Man kann es nicht wie akbarī essen, und man kann es nicht wie madak rauchen.«
»Was macht man dann damit?«, fragte Diti.
»Willst du’s sehen?«
Sie nickte, und er stand auf und trat an ein Wandbord, nahm eine Pfeife herunter, so lang wie sein Arm, und hielt sie Diti hin. Sie war aus Bambus und vom Gebrauch schwarz und ölig. An einem Ende befand sich ein Mundstück und in der Mitte des Rohrs eine kleine Tonknolle mit einem winzigen Loch oben. Hukam Singh hielt die Pfeife ehrfürchtig in der Hand. Sie stamme von einem weit entfernten Ort, Rakhine in Südburma, sagte er. Pfeifen wie diese bekomme man weder in Ghazipur noch in Benares, man bekomme sie in ganz Bengalen nicht, sie müssten über das Schwarze Wasser herangeschafft werden und seien zu wertvoll, um damit herumzuspielen.
Er nahm eine lange Nadel aus der Kassette, senkte ihre Spitze in den weichen schwarzen chandū , zog sie wieder heraus und erhitzte den Tropfen, der daran haften geblieben war, über einer Kerzenflamme. Als das Opium zu zischen und zu brodeln begann, streifte er es auf dem Loch in der Pfeife ab und sog den Rauch durch das Mundstück tief ein. Dann saß
er mit geschlossenen Augen da, und der weiße Rauch quoll langsam aus seinen Nasenlöchern hervor. Nachdem er sich verflüchtigt hatte, strich Hukam Singh liebevoll über das Bambusrohr.
»Das hier ist meine erste Frau«, sagte er schließlich, »das musst du wissen. Sie hält mich seit meiner Verwundung am Leben; ohne sie wäre ich heute nicht hier. Ich wäre vor Schmerzen längst gestorben.«
Bei diesen Worten begriff Diti, was die Zukunft für sie bereithielt. Sie musste daran denken, wie sie und ihre
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