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Das mohnrote Meer - Roman

Das mohnrote Meer - Roman

Titel: Das mohnrote Meer - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amitav Ghosh
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bewirkte zudem nicht, dass er Diti begehrte, im Gegenteil, er wurde böse und verschloss sich in sich selbst. Schließlich musste sie einsehen, dass er ihr nie ein Ehemann im vollen Sinne sein würde, entweder weil seine Verwundung ihn unfähig gemacht oder weil das Opium die Lust zum Versiegen gebracht hatte. Doch dann begann ihr Bauch zu schwellen, und ihr Verdacht erhielt neue Nahrung: Wer, da es nicht ihr Mann war,
konnte sie geschwängert haben? Was genau war in jener Nacht geschehen? Als sie Hukam Singh danach fragte, sprach er stolz vom Vollzug ihrer Ehe, doch sein Blick sagte ihr, dass seine Erinnerung an die Nacht ein Opiumtraum sein musste, den jemand anderer ihm eingegeben hatte. Konnte es da nicht sein, dass auch ihre eigene Betäubung gezielt herbeigeführt worden war von jemandem, der um den Zustand ihres Mannes wusste und einen Plan geschmiedet hatte, um Hukam Singhs Impotenz zu verschleiern und damit die Familienehre zu wahren?
    Diti wusste, dass ihre Schwiegermutter, wenn es um ihre Söhne ging, vor nichts zurückschreckte. Sie hatte Hukam Singh nur auffordern müssen, seiner Braut etwas Opium zu geben, den Rest konnte ein Komplize erledigen. Diti hielt es sogar für möglich, dass die alte Frau mit im Raum gewesen war, dass sie ihr den Sari hochgeschoben und ihre Beine festgehalten hatte, während die Tat geschah. Was den Komplizen betraf, so gestattete sich Diti nicht, ihren ersten Verdacht zuzulassen. Die Frage, wer der Vater ihres Kindes war, konnte ohne weitere Anhaltspunkte nicht entschieden werden, dafür war sie zu wichtig.
    Ihre Schwiegermutter zur Rede zu stellen war zwecklos. Sie würde ihr nichts sagen, sie würde nur Lügen und Beschwichtigungen hervorsprudeln. Dennoch lieferte jeder Tag neue Beweise für die Mittäterschaft der alten Frau – am deutlichsten in Form des besitzergreifenden, zufriedenen Blicks, mit dem sie über das Fortschreiten der Schwangerschaft wachte. Es war, als wäre es ihr eigenes Kind, das da in Ditis Leib heranwuchs.
    Am Ende war es die alte Frau selbst, die Diti dazu brachte, ihrem Verdacht nachzugehen. Eines Tages, als sie Ditis Bauch massierte, sagte sie: »Und wenn wir das hier zur Welt gebracht
haben, müssen wir dafür sorgen, dass noch andere kommen – viele, viele andere.«
    Diese beiläufige Bemerkung verriet Diti, dass ihre Schwiegermutter entschlossen war, eine Wiederholung dessen herbeizuführen, was in der Hochzeitsnacht geschehen war. Wieder würde sie betäubt und festgehalten werden, wieder würde der unbekannte Komplize sie vergewaltigen.
    Was sollte sie tun? In der Nacht regnete es stark, und im ganzen Haus roch es nach nassem Stroh. Der Duft verschaffte Diti einen klaren Kopf: Nachdenken, sie musste nachdenken; zu weinen und den Einfluss der Planeten zu beklagen führte zu nichts. Sie dachte an ihren Mann, an seinen benommenen, schläfrigen Blick. Wie kam es, dass seine Augen so anders waren als die seiner Mutter? Warum war sein Blick so leer, ihrer dagegen so scharf und listig? Plötzlich wusste Diti die Antwort: Natürlich – der Unterschied lag in der hölzernen Kassette.
    Ihr Mann schlief fest. Speichel rann ihm übers Kinn, und sein Arm lag auf der Kassette. Behutsam zog Diti sie weg und löste den Schlüssel aus seinen Fingern. Ein satter Geruch nach Erde und Fäulnis stieg auf, als sie den Deckel öffnete. Sie wandte das Gesicht ab, schabte ein paar Splitter von einem Stück hartem akbarī -Opium ab und verwahrte sie in den Falten ihres Saris. Dann sperrte sie die Kassette zu und schob ihrem Mann den Schlüssel wieder in die Hand. Selbst im tiefen Schlaf schlossen seine Finger sich gierig um diesen Gefährten seiner Nächte.
    Am nächsten Morgen mischte Diti ihrer Schwiegermutter eine Spur Opium in die gesüßte Milch. Die Frau trank durstig und verbrachte den Rest des Vormittags müßig unter einem Mangobaum. Ihre zufriedene Stimmung zerstreute Ditis letzte Bedenken. Von da an gab sie winzige Mengen des Rauschgifts an alles, was sie ihrer Schwiegermutter vorsetzte. Sie
streute davon auf ihren achār , knetete es in ihre dāl-pūrīs , buk es mit ihren pakorās mit und rührte es in ihre dāl ein. Binnen kürzester Zeit wurde die alte Frau ruhiger und gelassener, ihre Stimme verlor den harschen Ton, und ihr Blick wurde weicher. Ditis Schwangerschaft interessierte sie nicht mehr übermäßig, und sie verbrachte immer mehr Zeit im Bett. Verwandte, die zu Besuch kamen, äußerten sich jedes Mal darüber, wie friedlich sie wirke, und sie

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