Das mohnrote Meer - Roman
Spielkameraden früher über die afīmkhors in ihrem Dorf gelacht hatten, die gewohnheitsmäßigen Opiumesser, die immer dasaßen, als träumten sie, und mit trüben, toten Augen in den Himmel schauten. An so viele Möglichkeiten hatte sie gedacht, nur nicht an diese: dass sie einen afīmkhor heiraten würde, einen Süchtigen. Wie hätte sie es auch wissen sollen? Hatte ihr Bruder ihr nicht versichert, dass Hukam Singhs Verwundung nicht weiter schlimm sei?
»Hat mein Bruder das gewusst?«, fragte sie leise.
»Das mit der Pfeife?« Hukam Singh lachte. »Nein, woher auch? Ich habe das Rauchen ja erst nach meiner Verwundung gelernt, im Lazarett in Arakan. Die Krankenwärter waren Einheimische, und wenn wir nachts vor Schmerzen nicht schlafen konnten, brachten sie uns Pfeifen und zeigten uns, wie man damit umgeht.«
Reue half nichts an diesem Abend, an dem ihr Schicksal mit dem Hukam Singhs verbunden worden war, das wusste Diti. Es war, als sei der Schatten Saturns über ihr Gesicht geglitten, um sie an ihr Los zu erinnern. Leise, um ihren Mann nicht aus seiner Trance zu wecken, fasste sie unter ihren Schleier und wischte sich die Augen. Doch ihre Armreife klimperten, und er erwachte. Er nahm die Nadel und hielt sie von Neuem über
die Flamme. Als die Pfeife wieder zum Rauchen bereit war, sah er Diti lächelnd an und zog eine Augenbraue hoch, als wollte er sie fragen, ob sie auch einmal probieren wolle. Sie nickte; wenn dieser Rauch die Schmerzen eines zerschmetterten Beins zu lindern vermochte, dann konnte er gewiss auch die Unruhe in ihrem Herzen besänftigen. Als sie jedoch nach der Pfeife griff, zog Hukam Singh sie schnell weg und drückte sie an seine Brust. »Nein, du weißt ja nicht, wie!« Er nahm einen Mundvoll Rauch, drückte seinen Mund auf ihren und blies den Rauch in sie hinein. Ihr Kopf begann sich zu drehen – ob von dem Rauch oder von der Berührung seiner Lippen, hätte sie nicht zu sagen gewusst. Ihre Muskeln erschlafften, alle Spannung schien aus ihrem Körper zu weichen, und eine köstliche Schläfrigkeit überkam sie, ein unendlich wohliges Gefühl. Sie lehnte sich gegen das Kissen zurück, sein Mund presste sich von Neuem auf ihren und füllte ihre Lunge mit Rauch, dann glitt sie aus dieser Welt fort in eine andere, eine hellere, bessere, erfüllendere.
Als sie am nächsten Morgen die Augen aufschlug, fühlte sie einen dumpfen Schmerz im Unterleib und ein Wundsein zwischen den Beinen. Ihre Kleider waren in Unordnung, und als sie hinunterfasste, spürte sie, dass ihre Schenkel blutverkrustet waren. Ihr Mann lag neben ihr, die Kassette in den Armen, seine Kleider unberührt. Sie rüttelte ihn wach und fragte: »Was ist passiert? War alles in Ordnung heute Nacht?«
Er nickte und lächelte schläfrig. »Ja, alles war so, wie es sein soll«, sagte er. »Du hast meiner Familie bewiesen, dass du noch unberührt warst. Mit Gottes Segen wird sich dein Schoß bald füllen.«
Sie hätte ihm gern geglaubt, doch als sie ihn so schlaff und teilnahmslos daliegen sah, konnte sie sich kaum vorstellen,
dass er in der Nacht zu größeren Anstrengungen imstande gewesen war. Sie lag auf dem Kissen und versuchte sich ins Gedächtnis zurückzurufen, was geschehen war, aber es stellten sich keine Erinnerungen an den letzten Teil der Nacht ein.
Kurz darauf trat, übers ganze Gesicht lächelnd, ihre Schwiegermutter an ihr Bett, versprengte Segen aus einem Weihwassergefäß und murmelte in liebevoll-fürsorglichem Ton: »Alles war genau so, wie es sein soll, betī . Was für ein verheißungsvoller Anfang deines neuen Lebens!«
Subedar Bhairo Singh, der Onkel ihres Mannes, wiederholte die Segenssprüche und drückte Diti eine Goldmünze in die Hand. »Dein Schoß wird sich bald füllen, Tochter – du wirst tausend Söhne bekommen.«
Ungeachtet dieser Versicherungen wurde Diti den Verdacht nicht los, dass in ihrer Hochzeitsnacht irgendetwas nicht mit rechten Dingen zugegangen war. Aber was?
In den folgenden Wochen verstärkte sich ihr Argwohn. Hukam Singh zeigte keinerlei Interesse mehr an ihr und befand sich, wenn er abends ins Bett fiel, meist in einem durch das Opium herbeigeführten Zustand schläfriger Betäubung. Diti versuchte ihn mithilfe diverser Listen dem Bann seiner Pfeife zu entreißen, aber vergeblich. Es war zwecklos, einem Mann das Opium wegzunehmen, der just in der Fabrik arbeitete, in der es verarbeitet wurde, und wenn sie seine Pfeife versteckte, machte er sich eine neue. Zeitweiliger Entzug
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