Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das mohnrote Meer - Roman

Das mohnrote Meer - Roman

Titel: Das mohnrote Meer - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amitav Ghosh
Vom Netzwerk:
hübschen Gesicht und dem Zahlmeistergrinsen. Mit Ihnen wird’s nichts als Ärger geben, für Sie selber und für mich auch. Am besten, Sie schauen, dass Sie runterkommen von dem Pott hier, solange es noch geht. Damit würden Sie sich genauso viel Kummer ersparen wie mir.«
    »Ich will hier nur meine Arbeit machen. Mr. Crowle«, sagte Zachary mit steinerner Miene. »Und davon wird mich nichts abhalten.«
    Der Erste Steuermann schüttelte den Kopf. »Warten Sie’s ab, Grünschnabel. Wir lichten erst in ein paar Tagen den Anker – bis dahin kann noch viel passieren.«
    Um des lieben Friedens willen verzehrte Zachary den Rest seines Essens schweigend. Doch seine Selbstbeherrschung kostete ihn so viel Anstrengung, dass ihm die Hände zitterten und sein Mund trocken wurde, und um sich zu beruhigen, drehte er nach dem Essen ein paar Runden auf dem Hauptdeck. Aus der Back und der Kombüse, wo die Laskaren zu Abend aßen, drangen Fetzen angeregter Unterhaltung. Zachary stieg zum Backdeck hinauf, stützte die Ellenbogen auf das Bugspriet und schaute aufs Wasser hinab. Viele Lichter spiegelten sich glitzernd auf dem Fluss: Manche hingen an Heck und Kompasshaus vertäuter Schiffe, andere leuchteten der Flotte der Boote und Dingis, die sich zwischen den Trossen der Hochseeschiffe hindurchschlängelten. Eins der Ruderboote hielt auf die Ibis zu, und Zachary hörte betrunkene Stimmen übers Wasser schallen. Er erkannte Jodus Boot und musste daran denken, wie er darin gesessen und mit Paulette gestritten hatte, und die Erinnerung versetzte ihm einen Stich.
    Er wandte sich ab und spähte in das Dunkel flussaufwärts.
Er wusste, dass Paulette sich in einem Dorf irgendwo nördlich von Kalkutta aufhielt – von Jodu hatte er zu seiner Bestürzung erfahren, dass sie krank gewesen war und Freunde sich um sie kümmerten. Als das Boot neben dem Schoner längsseits kam, wäre er am liebsten hineingesprungen und losgerudert, um sie zu suchen. Der Drang war übermächtig, und er hätte ihm vielleicht nachgegeben, hätte ihn nicht der Gedanke davon abgehalten, dass Mr. Crowle sich dann eingebildet hätte, es sei ihm gelungen, ihn von der Ibis zu vertreiben.

FÜNFZEHNTES KAPITEL
    D ie Regenzeit war vorüber, das Sonnenlicht wurde klar und golden. Das trockene Wetter beschleunigte Paulettes Genesung, und sie beschloss, nach Kalkutta zurückzukehren, um den Plan, mit dem sie sich während ihrer Krankheit getragen hatte, in die Tat umzusetzen.
    Der erste Schritt erforderte ein privates Treffen mit Babu Nob Kissin, und sie ließ sich die Sache lange durch den Kopf gehen, ehe sie sich auf den Weg machte. Die Zentrale von Burnham Bros. lag in Kalkuttas eleganter Strand Road, die Kaianlagen der Firma dagegen in einer schäbigen Ecke von Kidderpur, etwa eine halbstündige Bootsfahrt entfernt. Diese Strecke musste Babu Nob Kissin Pander in Erfüllung seiner Pflichten fast täglich zurücklegen, und aus Sparsamkeit nahm er gewöhnlich eins der überfüllten Boote, die ihre Passagiere stromauf und stromab transportierten.
    Das weitläufige Burnham’sche Anwesen in Kidderpur umfasste mehrere Lagerhäuser und andere Gebäude. Der Schuppen, der dem Gumashta als Privatbüro diente, lag in einer Ecke des Geländes und grenzte an eine Gasse. Hierher kamen Leute, die Babu Nob Kissins Dienste als Geldverleiher in Anspruch nehmen wollten, das wusste Paulette. Ihr Vater hatte es auch getan, doch für sie selbst in ihrer jetzigen Situation war das Risiko, den Besitz ihres früheren Wohltäters zu betreten, zu groß. Sie beschloss deshalb, den Gumashta beim Verlassen der Fähre am nahen Ghat abzupassen.

    Dieses Ghat – das Bhutghat – erwies sich als ideal für ihre Zwecke. Es war so schmal, dass es leicht zu überblicken war, und so voll, dass eine einzelne Frau sich dort aufhalten konnte, ohne Aufmerksamkeit zu erregen. Und mehr noch: Auf einem kleinen Hügel stand dort ein alter Baum, ein Banyan, dessen Luftwurzeln ein so dichtes Geflecht bildeten, dass man sich gut dahinter verstecken konnte. Paulette schlüpfte in dieses Dickicht hinein und fand eine Wurzel, die wie eine Schaukel herabhing. Hier ließ sie sich nieder, schwang sacht hin und her und beobachtete das Ghat durch die sorgfältig drapierten Falten ihres Saris hindurch.
    Fast hätte sie umsonst gewartet, denn der Gumashta war mit seinem schulterlangen Haar so unkenntlich geworden, dass sie sich schon zum Gehen anschickte, als sie ihn schließlich erkannte. Selbst sein Gang hatte sich verändert

Weitere Kostenlose Bücher