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Das mohnrote Meer - Roman

Das mohnrote Meer - Roman

Titel: Das mohnrote Meer - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amitav Ghosh
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Abends zwei Bewacher zu ihnen kamen und ihnen mitteilten, der Bara Malum habe ihnen befohlen, sie an Deck zu bringen.
    »Wozu?«, fragte Nil.
    »Keine Ahnung«, gab einer der Silahdars mürrisch zurück. »Die sind da oben und trinken Grog.«
    Die Vorschriften verlangten, dass die Sträflinge, bevor sie an Deck gebracht wurden, an Händen und Füßen gefesselt und in Ketten gelegt wurden, was einige Zeit in Anspruch nahm, und die Silahdars waren sichtlich nicht erbaut, dass sie zu so später Stunde diese Prozedur vornehmen mussten.
    »Und, was wollen die von uns?«, fragte Nil.
    »Die sind betrunken«, sagte der Mann. »Die wollen Spaß haben.«
    »Spaß?«, fragte Nil. »Mit uns?«
    »Was weiß ich. Halt die Hände still, Galgenvogel.«
    Zu dieser nächtlichen Zeit war die Back mit Laskaren überfüllt, die in ihren Hängematten schliefen, und zwischen ihnen hindurchzugehen war, wie wenn man sich durch ein Dickicht
tief hängender Bienenstöcke hätte kämpfen müssen. Wegen ihrer langen Gefangenschaft waren Nil und Ah Fatt schon etwas unsicher auf den Beinen, und ihre Unbeholfenheit wurde durch das Schwanken des Schiffes und durch ihre Ketten noch verstärkt. Bei jedem Schlingern fielen sie in die Hängematten, stießen gegen Körper und Köpfe, zogen sich Tritte, Püffe und Flüche zu.
    Rasselnd und klappernd wurden die beiden Gefangenen aufs Backdeck hinaufgeführt, wo Mr. Crowle auf dem Gangspill thronte und der Subedar wie ein getreuer Knappe vor ihm am Bug stand.
    »Wo bleibt ihr denn, ihr Halunken? Warum lasst ihr uns so lange warten?«
    Nil sah, dass beide Männer einen Zinnbecher in der Hand hielten, und Mr. Crowles undeutlicher Aussprache nach zu urteilen hatten sie mit dem Trinken nicht erst gerade eben angefangen. Selbst im nüchternen Zustand waren die beiden zum Fürchten; was sie jetzt vorhatten, konnte man nur ahnen. Doch trotz eines flauen Gefühls in der Magengegend genoss Nil einen Moment lang das einzigartige Schauspiel der mondbeglänzten See.
    Der Schoner segelte über Backbordbug, und das Deck schwankte unter den im Wind geblähten Segeln. Von Zeit zu Zeit, wenn sich das Schiff etwas aufrichtete, schwappte eine Welle über das Deck, und dann lief das Wasser durch die Speigatten ab, wenn der Schoner sich vor dem Wind wieder stärker überlegte. Das phosphoreszierende Leuchten dieser strudelnden Wassermassen erhellte die Masten und Segel von unten.
    »Wo schaust du denn hin, Raja-Jack?«
    Ein Peitschenhieb gegen seine Waden brachte Nil wieder in die Gegenwart zurück. »Entschuldigen Sie, Mr. Crowle.«
    »Für dich immer noch Sir, du Sack.«

    »Jawohl, Sir.« Nil sprach die Worte langsam aus und nahm sich vor, seine Zunge im Zaum zu halten.
    Der Steuermann trank aus und hielt seinen Becher dem Subedar hin, der ihm aus einer Flasche nachschenkte. Der Steuermann trank noch einen Schluck und beobachtete die Sträflinge über den Rand des Bechers hinweg. »Raja-Jack – du bist doch ein ganz Schlauer. Also sag: Weißt du, warum wir euch an Deck geholt haben?«
    »Nein, Sir«, sagte Nil.
    »Dann verrat ich’s dir«, sagte Crowle. »Ich und mein guter Freund hier, Subbidar Fladengesicht, haben uns einen hinter die Binde gegossen, und da sagt er zu mir: ›China-Jack und Raja-Jack sind richtig gute Kumpels, so was findet man selten.‹ Sag ich zu ihm: ›Ich hab noch nie zwei Knastbrüder gesehen, die man nicht dazu bringen kann, dass sie aufeinander losgehen. ‹ Und er sagt: ›Bei den beiden geht das nicht.‹ Also sag ich: ›Fladengesicht‹, sag ich, ›was wetten wir, dass ich einen von denen dazu überreden kann, seine Bilge über dem andern zu lenzen?‹ Und ich will verdammt sein, wenn er mir daraufhin nicht einen Farthing hinhält! Also, Jack, der springende Punkt ist: Ihr seid hier, um unsere Wette zu entscheiden.«
    »Worum geht die Wette, Sir?«, fragte Nil.
    »Dass einer von euch zwei beiden den Jordan über dem andern leert.«
    »Den Jordan, Sir?«
    »Jordan ist Griechisch für Pisspott, Jack«, sagte der Steuermann gereizt. »Ich wette, dass einer von euch dem andern ins Gesicht pissen wird. Also, jetzt wisst ihr’s. Wohlgemerkt, keine Gewalt, keine Schläge, nur gutes Zureden. Ihr macht es entweder von euch aus oder gar nicht.«
    »Verstehe, Sir.«
    »Und, was meinst du, Raja-Jack, wie sind meine Chancen?«

    Nil versuchte sich vorzustellen, er würde auf Ah Fatt urinieren zum Gaudium dieser beiden Männer, und der Magen drehte sich ihm um. Aber er wusste, dass er seine Worte

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