Das mohnrote Meer - Roman
kostbar wie Ambra. Zum Glück reichte die Menge gerade, um die Paste herzustellen, mit der Braut und Bräutigam gesalbt werden mussten. Aber wie sollte man das Kurkuma ohne einen Stein oder Mörser zerkleinern? Schließlich verfielen sie darauf, zwei metallene lotās zu verwenden. Die mühselige Prozedur verlieh der Zeremonie des Gelbfärbens noch ein zusätzliches Strahlen, das selbst den trübsinnigsten der Girmitiyas ein Lächeln entlockte.
Unter Lachen und Singen verging die Zeit so schnell, dass alle erstaunt waren, als die Luke wieder geöffnet wurde. Sie konnten kaum glauben, dass es schon dunkel und Zeit für die Abendmahlzeit war. Der Anblick des Vollmonds, der in einem großen roten Hof über dem Horizont hing, ließ die Auswanderer ehrfürchtig verstummen. Keiner von ihnen hatte je einen so riesigen und so seltsam gefärbten Mond gesehen – als wäre er ein anderer Trabant als jener, der nachts die Ebenen Bihars erleuchtete. Selbst der Wind, der schon den ganzen Tag über
kräftig geweht hatte, schien durch das helle Licht neu belebt und nahm noch an Stärke zu, sodass sich die Wogen, die vom östlichen Horizont her auf den Schoner zurollten, noch höher türmten. Da Licht und Wellen aus derselben Richtung kamen, wurde das Meer zu einer gefurchten Fläche, die Diti an die Felder um Ghazipur erinnerte zu der Zeit, wenn die Winterernte erblühte. Man sah dann tiefe, dunkle Gräben zwischen den endlosen Reihen der hellen, mondbeschienenen Blüten, die den rot gefleckten, über den Wellentälern schimmernden Schaumkämmen glichen.
Alle Segel waren gesetzt, und das Schiff gierte heftig unter den schlagenden Segeln, neigte sich leewärts, wenn es die Wogen erklomm, und richtete sich wieder auf, wenn es in die Wellentäler tauchte. Es war, als tanzte es zur Musik des Windes, die mit der Bewegung des Schoners abwechselnd an- und abschwoll.
Diti hatte sich zwar an das Schwanken gewöhnt, aber bei diesem Seegang konnte sie sich nicht mehr auf den Beinen halten. Aus Angst, über Bord zu fallen, kauerte sie sich auf die Decksplanken, zog Kalua zu sich herab und zwängte sich zwischen ihn und das Schanzkleid. Ob es die Aufregung wegen der Hochzeit war, das Mondlicht oder die Bewegung des Schiffes, würde sie nie erfahren, aber genau in diesem Moment fühlte sie zum ersten Mal deutlich, wie sich in ihrem Leib etwas regte. »Oh!« Im Schatten des Schanzkleides nahm sie Kaluas Hand und legte sie auf ihren Bauch. »Spürst du’s?«
Sie sah seine Zähne im Dunkeln aufblitzen und wusste, dass er lächelte. »Ja, ja, es ist das Kleine, es strampelt!«
»Nein«, antwortete Diti, »es strampelt nicht, es wälzt sich, wie das Schiff.«
Wie seltsam war es, dieses Wesen in sich zu spüren, das im
Rhythmus ihrer eigenen Bewegungen hin- und herschlingerte, als wäre ihr Bauch das Meer und das Kind ein Schiff, das seiner Bestimmung entgegensegelte.
Diti wandte sich Kalua zu und flüsterte: »Heute Nacht ist es, als würden wir noch einmal heiraten.«
»Wieso?«, fragte Kalua. »War das erste Mal nicht gut genug? Als du die Blumen gepflückt und sie mit deinen Haarsträhnen zu Girlanden gebunden hast?«
»Aber die sieben Umkreisungen haben gefehlt. Wir hatten kein Holz und kein Feuer.«
»Kein Feuer?«, fragte Kalua. »Haben wir nicht unser eigenes Feuer gemacht?«
Diti errötete und zog ihn auf die Füße. »Komm jetzt, wir müssen zu Hirus Hochzeit zurück.«
Die beiden Sträflinge saßen in ihrer düsteren Zelle und zupften schweigend Werg, als die Tür aufging und in der Öffnung das große, von einer Lampe erhellte Gesicht Babu Nob Kissins auftauchte.
Der lange erwogene Besuch war nicht leicht zu arrangieren gewesen: Nur mit größtem Widerstreben hatte Subedar Bhairo Singh dem von Babu Nob Kissin vorgeschlagenen »Inspektionsgang« zugestimmt, und dies auch nur unter der Bedingung, dass zwei seiner Silahdars den Gumashta zu der Zelle begleiten und die ganze Zeit vor der Zellentür Wache stehen würden. Als das geregelt war, hatte Babu Nob Kissin umständliche Vorbereitungen getroffen. Als Kleidung hatte er einen safranfarbenen alkhalla gewählt, ein so weites Gewand, dass es für männliche wie weibliche Gläubige geeignet war. Unter den Falten dieses Gewandes, in einem um die Brust gebundenen Stoffstreifen, hatte er die Leckerbissen versteckt, die er im Lauf der letzten Tage gesammelt hatte – zwei Granatäpfel,
vier hart gekochte Eier, ein paar knusprige parāthās und einen Klumpen braunen Zucker.
Diese
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