Das mohnrote Meer - Roman
mir«, sagte sie in dem melodischen Tonfall, in dem sie ihre Klagen stets vorbrachte: »Warum hast du mich auf diese Reise mitgenommen, so weit weg von der Stadt? Das hast du mir immer noch nicht richtig erklärt.«
Ihre gespielte Naivität belustigte Nil, und er sagte lächelnd: »Sieben Jahre bist du nun bei mir, und noch kein einziges Mal hattest du Raskhali gesehen. Ist es da nicht verständlich, dass ich dir meine Zamindari einmal zeigen wollte.«
»Also nur sehen sollte ich sie?« Elokeshi warf den Kopf herausfordernd in den Nacken wie eine Tänzerin in der Rolle der gekränkten Liebenden. »Sonst nichts?«
»Was denn noch?« Seine Fingerspitzen spielten mit ihren Locken. »War es nicht genug, Raskhali zu sehen? Hat es dir nicht gefallen?«
»Natürlich hat es mir gefallen«, sagte Elokeshi, »es ist prachtvoller, als ich mir je hätte träumen lassen.« Ihr Blick irrte ab, wie auf der Suche nach Nils säulengeschmücktem Haus mit seinen Parkanlagen und Obstgärten. Sie flüsterte: »So viele Menschen, so viel Land. Und ich bin ein so kleiner Teil deines Lebens, musste ich da denken.«
Er fasste ihr unters Kinn und drehte ihr Gesicht zu sich hin. »Was ist denn, Elokeshi? Sag’s mir. Was hast du auf dem Herzen?«
»Ich weiß nicht, wie ich es dir sagen soll …«
Sie begann, die Elfenbeinknöpfe zu lösen, die schräg über die Brust seines kurtā verliefen. Dabei murmelte sie: »Weißt du, was meine kanchanīs gesagt haben, als sie sahen, wie groß deine Zamindari ist? Sie sagten: ›Elokeshi, du solltest den Raja um ein Stück Land bitten – brauchst du denn nicht einen Ort, an dem deine Verwandten leben können? Schließlich musst du doch auch ans Alter denken.‹«
»Deine Mädchen machen ständig Ärger«, brummte Nil aufgebracht. »Ich wollte, du würdest sie wegschicken.«
»Die kümmern sich doch nur um mich, mehr nicht.« Ihre Finger verirrten sich in sein Brusthaar, drehten es zu kleinen Zöpfchen. Leise fuhr sie fort: »Es ist doch nichts dagegen zu sagen, dass ein Raja den Mädchen in seiner Obhut Land schenkt. Dein Vater hat das immer wieder getan. Es heißt, seine Frauen brauchten nur darum zu bitten, und sie bekamen von ihm, was immer sie wollten: Tücher, Schmuck, Arbeit für ihre Verwandten …«
»Stimmt.« Nil lächelte bitter. »Und diese Verwandten wurden immer weiter bezahlt, auch wenn sie dabei ertappt wurden, dass sie Gelder veruntreuten.«
»Du siehst«, sagte Elokeshi und strich ihm mit den Fingerspitzen über die Lippen, »er war ein Mann, der wusste, was Liebe wert ist.«
»Im Gegensatz zu mir, ich weiß.« Es traf zu, dass Nils Lebensstil für einen Spross der Familie Halder fast schon frugal zu nennen war: Er kam mit einer einzigen zweispännigen Kutsche aus und begnügte sich mit einem bescheidenen Flügel des Familiensitzes. Weit weniger sinnenfroh als sein Vater, hatte er keine weitere Geliebte neben Elokeshi. Sie jedoch überhäufte er rückhaltlos mit Beweisen seiner Zuneigung. Die Beziehung zu seiner Gattin war nie über die gewissenhafte Erfüllung seiner ehelichen Pflichten hinaus gediehen.
»Aber versteh doch, Elokeshi«, sagte er mit einem Anflug von Traurigkeit. »So zu leben wie mein Vater kostet Geld – mehr Geld, als unsere Ländereien jemals abwerfen könnten.«
Elokeshi wurde hellhörig, ihre Augen leuchteten interessiert auf. »Wie meinst du das? Alle haben immer gesagt, dein Vater sei einer der reichsten Männer der Stadt.«
Nil versteifte sich. »Elokeshi – ein Teich braucht nicht tief zu sein, um einen Lotos zu tragen.«
Elokeshi zog ihre Hand zurück und setzte sich auf. »Was soll das heißen?«, forschte sie. »Erklär es mir.«
Nil wusste, dass er bereits zu viel gesagt hatte, und so lächelte er nur und schob seine Hand unter ihre cholī : »Mach dir keine Sorgen, Elokeshi.«
Manchmal sehnte er sich danach, ihr von den Problemen zu erzählen, die sein Vater ihm hinterlassen hatte, aber er kannte Elokeshi gut genug, um zu wissen, dass sie sich wahrscheinlich anderweitig umsehen würde, sobald sie wusste, wie es tatsächlich um seine Vermögensverhältnisse bestellt war. Nicht dass sie habgierig gewesen wäre, im Gegenteil: Er wusste,
dass sie bei all ihren Allüren ein starkes Verantwortungsgefühl gegenüber den Menschen hatte, die von ihr abhängig waren – genau wie er selbst. Er bedauerte, dass ihm das über seinen Vater herausgerutscht war, denn noch war es zu früh, ihr Grund zur Besorgnis zu geben.
»Lass gut sein, Elokeshi.
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