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Das mohnrote Meer - Roman

Das mohnrote Meer - Roman

Titel: Das mohnrote Meer - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amitav Ghosh
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Hals fest im Griff des Steuermanns.
    »Was ist los, Mr. Crowle?«
    »Ich hab was, das müssen Sie sehen.« Der Erste Steuermann lächelte grimmig. »Ich hab’s von unserem Freund Baboon hier.«

    Zachary trat rasch hinaus und zog die Tür hinter sich zu. »Was denn?«
    »Ich zeig’s Ihnen, aber nicht hier. Und nicht mit diesem Baboon in der Hand. Am besten, er bleibt in Ihrer Kajüte, da kann er sich erst mal beruhigen.« Und bevor Zachary etwas sagen konnte, stieß Mr. Crowle die Tür wieder auf, drückte dem Gumashta sein Knie ins Kreuz und trieb ihn an Zachary vorbei in die Kajüte. Ohne einen Blick hineinzuwerfen, schloss er die Tür wieder, hob ein Ruder aus der Wandhalterung und verrammelte sie damit. »Da kann er bleiben, bis wir die Sache geklärt haben.«
    »Und wo tun wir das?«
    »Warum nicht in meiner Kajüte?«

    Wie bei einem Bären in seiner Höhle gewann die ohnehin schon staunenswerte Körperlichkeit des Ersten Steuermanns noch zusätzliches Gewicht durch das Bewusstsein, dass er sich in seinem eigenen Bereich befand: In dem Moment, als er und Zachary drinnen waren und die Tür sich hinter ihnen schloss, schien Mr. Crowle zu schwellen und sich auszudehnen, sodass für Zachary nur noch wenig Raum blieb. Das Schiff schlingerte stark, und sie mussten die Arme seitlich ausstrecken und sich an den Kajütwänden abstützen. Doch auch jetzt noch, als sie Brust an Brust voreinander standen und bei jedem Überholen des Schoners gegeneinander stießen, schien Mr. Crowle darauf bedacht, Zachary durch seine Größe und seinen Umfang so abzudrängen, dass er sich auf sein Bett setzen musste. Doch Zachary tat nichts dergleichen: Das Verhalten des Ersten Steuermanns ließ auf einen Überschwang an Gefühl schließen, der noch beunruhigender war als die offene Aggression zuvor. Um gegenüber dem größeren Mann nicht ins Hintertreffen zu geraten, rührte er sich nicht von der Stelle.

    »Also, Mr. Crowle? Weswegen wollten Sie mich sprechen?«
    »Wegen etwas, wofür Sie mir dankbar sein werden, Reid.« Der Erste Steuermann griff in seine Weste und brachte ein leicht angegilbtes Blatt Papier zum Vorschein. »Das hab ich von diesem Blödmann – Pander, so heißt er doch? Er wollte damit zum Skipper. Sie können von Glück sagen, dass ich es in die Finger gekriegt hab, Reid. So was kann einem Kerl ganz schön die Suppe versalzen. Könnte passieren, dass er nie wieder Arbeit auf einem Schiff kriegt.«
    »Was ist das?«
    »Das ist die Mannschaftsrolle – von der Ibis , wie sie in Baltimore ausgelaufen ist.«
    »Und, was ist damit?«, fragte Zachary stirnrunzelnd.
    »Schauen Sie mal, Reid.« Mr. Crowle hielt die Lampe hoch und gab ihm das Blatt. »Nur zu, sehn Sie selbst.«
    Als er auf der Ibis anheuerte, hatte Zachary nichts über Schiffspapiere oder Mannschaftsrollen gewusst, ganz zu schweigen davon, dass diese Unterlagen auf jedem Schiff anders ausgefüllt wurden. Er war mit seinem Seesack an Bord der Ibis gegangen, hatte dem Zweiten Steuermann laut seinen Namen, sein Alter und seinen Geburtsort genannt, und das war’s auch schon gewesen. Jetzt aber sah er, dass er wie auch einige andere Besatzungsmitglieder einen Extravermerk neben seinem Namen hatte. Er kniff die Augen zusammen, sah noch einmal hin – und erstarrte.
    »Sehen Sie, Reid?«, fragte Mr. Crowle. »Sehen Sie, was ich meine?«
    Zachary nickte mechanisch, doch ohne den Blick zu heben, und der Erste Steuermann fuhr fort. »Schauen Sie, Reid«, sagte er heiser, »mir ist das egal. Ich geb da keinen Pfifferling drauf. Ist mir ganz gleich, ob Sie ein Mulatte sind oder nicht.«

    Zachary antwortete so geläufig, dass es wie auswendig gelernt klang. »Ich bin kein Mulatte, Mr. Crowle. Meine Mutter war eine Terzeronin, mein Vater ein Weißer. Also bin ich ein Metif.«
    »Tut nichts zur Sache, Reid.« Mr. Crowle hob die Hand und strich Zachary mit den Knöcheln über die unrasierte Wange. »Metif, Mulatte – hier steht nun mal als Hautfarbe …«
    Zachary starrte immer noch wie gebannt auf das Papier. Crowle hob die Hand ein Stückchen höher und schnippte eine Locke aus Zacharys Stirn. »Und es ändert auch nichts an dem da. Sie sind, was Sie sind, Reid, aber mir ist das, wie gesagt, piepegal. Wenn Sie mich fragen, stellt uns das auf eine Stufe.«
    Jetzt schaute Zachary verwirrt auf. »Wie soll ich das verstehen, Mr. Crowle?«
    Die Stimme des Ersten Steuermanns sank zu einem Knurren herab. »Reden wir nicht drum herum, Reid: Wir sind bis jetzt nicht so gut

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