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Das mohnrote Meer - Roman

Das mohnrote Meer - Roman

Titel: Das mohnrote Meer - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amitav Ghosh
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miteinander ausgekommen. Sie haben mich mit Ihrem feinen Getue und Ihren arroganten Sprüchen zum Trottel gemacht. Ich hab wirklich gedacht, dass Sie irgendwie über mir stehen. Aber das hier, das ändert alles. Hätte nie gedacht, dass ich mal so weit vom Kurs abkommen könnte.«
    »Wie meinen Sie das, Mr. Crowle?«
    »Verstehn Sie nicht, Grünschnabel?« Crowle legte ihm die Hand auf die Schulter. »Wir könnten ein Gespann sein, Sie und ich.« Er tippte auf das Papier und nahm es Zachary aus der Hand. »Da braucht keiner was davon wissen. Der Kapitän nicht und sonst auch niemand. Es bleibt hier.« Er faltete das Papier zusammen und steckte es wieder ein. »Denken Sie drüber nach, Reid: ich als Skipper und Sie als Erster Steuermann. Hand in Hand. Keiner lügt den andern mehr an. Was könnten sich zwei Kerle wie wir Besseres wünschen? Keiner versucht, den anderen über’n Tisch zu ziehen, keiner lügt den anderen
an. Tonne für Tonne, Mann für Mann. Ich würde auch ein Auge zudrücken, wenn Sie mal über die Stränge schlagen wollen, Grünschnabel. Ich weiß, wo’s langgeht, ich weiß, wie der Hase läuft. Wenn wir im Hafen sind, könnten Sie tun und lassen, was Sie wollen; würd mir nichts ausmachen, nicht an Land.«
    »Aber auf See schon?«
    »Sie müssten nur ab und zu mal die Messe durchqueren. Ist ja nicht weit, oder? Und wenn es nicht nach Ihrem Geschmack ist, können Sie auch die Augen zumachen und sich von mir aus vorstellen, Sie sind in Jericho. Für jeden Seemann kommt mal der Tag, Grünschnabel, wo er nicht weiß, was er bei grobem Wetter und schwerer See anfangen soll. Glauben Sie, das Leben schuldet Ihnen mehr als anderen, bloß weil Sie Mulatte sind?«
    Bei aller brutalen Rauheit von Crowles Tonfall spürte Zachary, dass er innerlich einem Zusammenbruch nahe war, und plötzlich tat er ihm fast leid. Sein Blick wanderte zu dem Stück Papier, das er zwischen den Fingern hielt, und er staunte darüber, dass etwas so Unbedeutendes, so Harmloses so große Macht besitzen konnte, dass es imstande sein sollte, die Furcht und die scheinbare Unverletzlichkeit aufzulösen, die er, Zachary, in seiner Rolle als »Gentleman« besessen hatte, dass es ihn von Grund auf verändern und damit für einen Mann anziehend machen konnte, der offenbar nur begehren konnte, was er in seiner Macht hatte, und dass diese Verwandlungskraft einem einzigen Wort innewohnen sollte. Dies alles sagte mehr über die Verrücktheit der Welt aus als über die Perversität derer, die darin ihren Weg finden mussten.
    Er spürte, dass der Erste Steuermann immer ungeduldiger auf eine Antwort wartete, und sagte darum nicht unfreundlich, aber mit ruhiger Bestimmtheit: »Sehen Sie, Mr. Crowle, es tut
mir leid, aber der Handel, den Sie mir vorschlagen, kann nicht stattfinden. Vielleicht kommt es Ihnen ja so vor, als hätte dieses Blatt Papier mein Innerstes nach außen gekehrt, aber in Wahrheit hat es nichts verändert. Ich bin in Freiheit geboren, und ich bin nicht gesonnen, etwas von meiner Freiheit herzugeben.«
    Zachary machte einen Schritt zur Tür, doch der Erste Steuermann vertrat ihm den Weg. »Streichen Sie die Segel, Grünschnabel«, sagte er mit einem warnenden Unterton. »Es wird Ihnen nicht gut bekommen, wenn Sie jetzt abhauen.«
    »Hören Sie, Mr. Crowle«, erwiderte Zachary ruhig. »Keiner von uns beiden muss sich an dieses Gespräch erinnern. Sobald ich durch diese Tür gehe, ist es vorbei und vergessen, so als hätte es nie stattgefunden.«
    »Dafür ist es jetzt zu spät, Grünschnabel«, sagte der Erste Steuermann. »Was gesagt ist, ist gesagt und kann nicht vergessen werden.«
    Zachary musterte ihn von Kopf bis Fuß und straffte die Schultern. »Also, was wollen Sie dann jetzt tun, Mr. Crowle? Mich hier drin festhalten, bis ich die Tür einschlage?«
    »Haben Sie nicht vielleicht was vergessen, Grünschnabel?« Mr. Crowle tippte mit dem Finger auf das Papier in seiner Westentasche. »In weniger als zwei Minuten bin ich damit beim Kapitän.«
    Der verzweifelte Unterton dieser Drohung war fast mitleiderregend. Zachary musste lächeln. »Nur zu, Mr. Crowle«, sagte er. »Das Papier da mag sein, was es will, es verpflichtet mich zu nichts. Nur zu, zeigen Sie es dem Kapitän – ich wäre sogar froh darüber, glauben Sie mir. Ich wette, es wird ihn schwer treffen, wenn er von dem Handel hört, den Sie mir vorschlagen – aber nicht meinetwegen.«
    »Schluss mit dem Gesabbel, Reid!« Eine Hand tauchte aus dem Dunkel auf, und

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