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Das mohnrote Meer - Roman

Das mohnrote Meer - Roman

Titel: Das mohnrote Meer - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amitav Ghosh
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mieten: Er benötige einen Daftar, sagte er, sei aber nicht sehr liquide und werde um Stundung der Mietzahlung bitten müssen. Während er sein Anliegen vortrug, war, von ihm unbemerkt, eine weiße Maus unter seinem Sessel erschienen; unsichtbar für den Besucher, doch voll im Blickfeld des Zamindars saß sie ganz still da, bis der Engländer ausgeredet hatte. Da die Maus das Lieblingstier von Ganesh ist, dem Gott des guten Anfangs und Beseitiger von Hindernissen, hatte der alte Zamindar die Erscheinung als Offenbarung göttlichen Willens gedeutet: Nicht nur hatte er Mr. Burnham die Miete für ein Jahr gestundet, sondern sich auch schriftlich ausbedungen, dass Raskhali sich finanziell an der jungen Firma beteiligen durfte. Der Raja hatte in Benjamin Burnham mit sicherem Blick den kommenden Mann erkannt. Welcher Art die Geschäfte des Engländers sein würden, danach hatte er nicht gefragt: Schließlich war er ein Zamindar, nicht irgendein Krämer auf dem Basar, der mit untergeschlagenen Beinen auf einem Teppich sitzt.
    Mit Entscheidungen dieser Art hatten die Halders in den letzten anderthalb Jahrhunderten ihren Reichtum erworben.
In der Epoche der Großmoguln hatten sie sich mit den Repräsentanten der Dynastie gut gestellt. Als die Ostindien-Kompanie in Indien Fuß fasste, hatten sie die Neuankömmlinge mit der gebotenen Vorsicht willkommen geheißen, und als die Briten gegen die muslimischen Herrscher Bengalens zu Felde zogen, hatten sie der einen Seite Geld und der anderen Sepoys geliehen und abgewartet, welche von beiden die Oberhand gewinnen würde. Als die Briten Sieger blieben, hatten sich die Halders ebenso rasch die englische Sprache angeeignet wie zuvor Persisch und Urdu. Als es zu ihrem Vorteil war, hatten sie ihren Lebensstil bereitwillig der Welt der Engländer angeglichen, dabei aber stets allzu weitgehende Überschneidungen zwischen den beiden Sphären vermieden. Den innersten Überzeugungen der weißen Kaufmannsgilde mit ihrem Streben nach Wachstum und Gewinn waren sie nach wie vor mit aristokratischer Verachtung begegnet – insbesondere bei Männern wie Benjamin Burnham, von dem sie wussten, dass er ein Spross der Kaufmannsklasse war. Dass sie Geld bei ihm anlegten und dafür Zinsen erhielten, tat ihrem Stand keinen Abbruch; sich zu erkundigen, woher die Profite stammten und auf welche Weise sie erzielt wurden, wäre jedoch weit unter ihrer Würde gewesen. Der alte Raja wusste von Mr. Burnham nur, dass er Schiffe besaß, und dabei ließ er es bewenden. Von ihrer ersten Begegnung an stellte er Mr. Burnham Jahr für Jahr eine bestimmte Summe Geld zur Verfügung, die dieser für seine Lieferungen verwenden konnte. Jahr für Jahr erhielt er eine um ein Vielfaches höhere Summe zurück. Scherzhaft nannte er diese Zahlungen einen »Tribut vom Faghfur von Maha-Chin«.
    Dass der Engländer dieses Geld akzeptierte, war ein einzigartiger Glücksfall für den Raja, denn in Ostindien hatten die Briten das Monopol auf Opium, das ausschließlich unter
der Kontrolle der Ostindien-Kompanie hergestellt und abgepackt wurde; von einer kleinen Gruppe Parsen abgesehen, hatten nur wenige gebürtige Inder Zugriff auf den Handel und die damit erzielten Gewinne. Als es sich herumsprach, dass die Halders von Raskhali Geschäfte mit einem englischen Kaufmann machten, baten deshalb zahllose Freunde, Verwandte und Gläubiger den Raja, an diesen lukrativen Beziehungen beteiligt zu werden. Sie bestürmten den alten Zamindar so lange, bis er sich bereitfand, ihr Geld der Summe hinzuzufügen, die er alljährlich bei Mr. Burnham anlegte. Als Gegenleistung willigten sie ein, Raskhali eine zehnprozentige Provision auf die erzielten Gewinne zu zahlen; die Erträge waren so hoch, dass eine solche Provision vollkommen angemessen schien. Welche Risiken die Geldgeber eingingen, blieb ihnen weitgehend verborgen. Da die britischen und amerikanischen Händler Jahr für Jahr immer raffiniertere Möglichkeiten fanden, die chinesischen Gesetze zu umgehen, expandierte der Opiummarkt, und der Raja und die anderen verdoppelten oder verdreifachten ihre Einlagen.
    Doch Geld kann dem, der nicht damit umzugehen weiß, nicht nur Reichtum, sondern auch den Ruin bringen, und für die Halders war der neue Wohlstand letztlich mehr Fluch als Segen. Erfahrung hatten sie im Umgang mit Königen und Höfen, Bauern und Abhängigen. Sie waren sehr begütert, was ihre Liegenschaften anging, hatten aber nie über große Barmittel verfügt; was sie davon besaßen,

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