Das mohnrote Meer - Roman
verwalteten sie in ihrem Hochmut nicht selbst, sondern vertrauten es einer Legion von Bevollmächtigten, Gumashtas und armen Verwandten an. Als sich nun die Schatztruhen des alten Zamindar zusehends füllten, versuchte er, sein Silber in handfeste Besitztümer umzuwandeln, von denen er mehr verstand – Land, Häuser, Elefanten, Pferde, Kutschen und natürlich ein Badgero, prächtiger als
alle anderen Schiffe, die damals den Fluss befuhren. Doch der neue Besitz brachte es auch mit sich, dass er jede Menge neue Abhängige unterhalten musste. Große Teile des neu erworbenen Landbesitzes waren landwirtschaftlich nicht nutzbar, und die neuen Häuser wurden schon bald zu einer zusätzlichen Belastung, weil der Raja keine Vermietung duldete. Als sie von den neuen Einnahmequellen des Zamindars erfuhren, stellten seine Geliebten – er hatte deren sieben, sodass er jede Nacht der Woche in einem anderen Bett verbringen konnte – höhere Ansprüche und wetteiferten darin, möglichst viel für sich zu ergattern: Geschenke, Tand, Häuser und Arbeitsstellen für ihre Verwandten. Der Raja, von jeher ein großzügiger Liebhaber, ließ sich fast immer breitschlagen, mit dem Ergebnis, dass sich Schuldenberge anhäuften und schließlich all das Silber, das Mr. Burnham für ihn verdiente, direkt an seine Gläubiger ging. Als er kein eigenes Kapital mehr besaß, das er bei Mr. Burnham hätte anlegen können, blieben ihm fast nur noch die Provisionen derer, die ihm ihr Geld anvertraut hatten. Er musste deshalb den Kreis der Anleger vergrößern und dementsprechend viele Schuldscheine – oder hundīs , wie sie auf den Basaren genannt wurden – unterschreiben.
Wie in der Familie üblich, wurde der Erbe des Titels nicht in die finanziellen Transaktionen eingeweiht. Da er ohnehin eher zum Gelehrten neigte und zutiefst pflichtbewusst war, hatte Nil nie versucht, seinen Vater nach der Verwaltung der Zamindari zu befragen. Erst wenige Tage vor seinem Tod hatte der Zamindar seinen Sohn darüber aufgeklärt, dass das finanzielle Wohl und Wehe der Familie von den geschäftlichen Beziehungen zu Mr. Benjamin Burnham abhänge; je mehr sie bei ihm anlege, umso besser, denn sie bekomme für jeden Betrag das Doppelte zurück. Um den größtmöglichen Nutzen aus diesem Arrangement zu ziehen, habe er Mr. Burnham
gesagt, dass er in diesem Jahr den Gegenwert von einem Lakh Sicca-Rupien anlegen wolle. Mit Rücksicht darauf, dass es eine gewisse Zeit dauern würde, eine solche Summe aufzubringen, habe Mr. Burnham freundlicherweise angeboten, einen Teil davon aus eigenen Mitteln vorzustrecken. Es sei vereinbart worden, dass die Halders für diesen Betrag aufkommen würden, falls er nicht durch die Opiumverkäufe dieses Sommers gedeckt würde. Es bestehe aber nicht der geringste Grund zur Sorge, hatte der alte Zamindar gesagt: In den vergangenen zwei Jahrzehnten habe es nicht ein einziges Jahr gegeben, in dem das angelegte Geld nicht mit einem großen Aufschlag zurückgeflossen wäre. Es handle sich also nicht um eine Schuld, sondern um ein Geschenk.
Ein paar Tage darauf war der Raja gestorben, und mit seinem Ableben schien sich schlagartig alles zu ändern. In diesem Jahr, 1837, erzielten Burnham Bros. zum ersten Mal keine Gewinne für ihre Kunden. Wenn die Opiumschiffe am Ende der Handelssaison aus China zurückkehrten, war Mr. Burnham stets höchstpersönlich in der Raskhali-Rajbari erschienen, dem Hauptsitz der Halders in Kalkutta. Es hatte sich eingebürgert, dass der Engländer neben Gold und Silber auch Glück bringende Geschenke wie Betelnüsse und Safran mitbrachte. Doch im ersten Jahr nach dem Tod des alten Zamindars gab es weder einen Besuch noch irgendwelches Geld: Stattdessen erhielt der neue Raja einen Brief des Inhalts, der Chinahandel sei durch den plötzlichen Wertverfall amerikanischer Wechsel stark beeinträchtigt worden; abgesehen von ihren Verlusten hätten Burnham Bros. auch ernsthafte Schwierigkeiten, Gelder von England nach Indien zu überweisen. Der Brief schloss mit der höflichen Aufforderung, die Zamindari möge bitte ihre Schulden begleichen.
In der Zwischenzeit hatte Nil zahllose Schuldscheine zugunsten
von Händlern auf dem Basar ausgestellt; die Kontoristen seines Vaters hatten ihm die Papiere vorgelegt und ihm gezeigt, wo er unterschreiben müsse. Als Mr. Burnhams Brief eintraf, wurde der Sitz der Halders bereits von einem Heer kleinerer Gläubiger belagert. Einige von ihnen waren wohlhabende Kaufleute, die man ohne
Weitere Kostenlose Bücher