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Das mohnrote Meer - Roman

Das mohnrote Meer - Roman

Titel: Das mohnrote Meer - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amitav Ghosh
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Bedenken noch eine Zeit lang hinhalten konnte. Aber es waren auch viele Verwandte und Bedienstete darunter, die dem Zamindar ihre bescheidenen Ersparnisse anvertraut hatten; diese armen und vertrauensvollen Abhängigen konnte man nicht abweisen. Als er ihnen ihr Geld zurückzahlen wollte, stellte Nil fest, dass die Barmittel des Hauses nur noch ausreichten, um die laufenden Kosten für ein, zwei Wochen zu decken. Die Lage war so aussichtslos, dass er sich so weit herabließ, einen Bittbrief an Mr. Burnham zu schreiben, in dem er nicht nur um Stundung der Schulden, sondern auch um ein Darlehen ersuchte, um die Zeit bis zur nächsten Saison überbrücken zu können.
    Das Antwortschreiben, das er erhielt, war derart impertinent, dass Nil sich gefragt hatte, ob Mr. Burnham seinem Vater gegenüber ebenfalls einen so rüden Ton angeschlagen hätte. Er bezweifelte es: Der alte Raja war immer gut mit den Engländern ausgekommen, obwohl er ihre Sprache nur unvollkommen beherrschte und sich überhaupt nicht für ihre Literatur interessierte. Wie zum Ausgleich für seine eigenen Unzulänglichkeiten hatte der Raja einen britischen Privatlehrer für seinen Sohn engagiert, der ihn mit den Feinheiten der englischen Sprache vertraut machen sollte. Dieser Privatlehrer, Mr. Beasley, war Nil in mancher Hinsicht sehr ähnlich und förderte sein Interesse an Literatur und Philosophie. Doch anstatt ihm die Türen zur englischen Gesellschaft in Kalkutta zu öffnen, hatte Nils Erziehung genau das Gegenteil bewirkt. Denn ein Mann wie Mr. Beasley war unter den Briten der

    Stadt eine Seltenheit; sie begegneten Bildung und Geschmack – insbesondere bei einheimischen Gentlemen – mit Misstrauen oder gar Verachtung. Mit einem Wort: Sowohl von seinem Temperament als auch von seiner Ausbildung her passte Nil nicht in die Gesellschaft von Männern wie Mr. Burnham, und diese hegten gegen ihn eine Abneigung, die an Verachtung grenzte.
    Dies alles war Nil wohl bewusst, doch er fand Mr. Burnhams Schreiben trotzdem unbegreiflich. Die Firma Burnham, so hieß es darin, sehe sich nicht in der Lage, ein Darlehen zu vergeben, da sie selbst stark unter den jüngsten Unwägbarkeiten des Handelsverkehrs mit China zu leiden habe. Überdies wurde Nil daran erinnert, dass seine Schulden bei Burnham Bros. bereits den Wert der gesamten Zamindari bei Weitem überstiegen; die Außenstände müssten umgehend beglichen werden, hieß es weiter, und Nil möge in Erwägung ziehen, seinen Grundbesitz der Firma Burnham zu überschreiben, um sich auf diese Weise wenigstens eines Teils seiner Schuldenlast zu entledigen.
    Um Zeit zu gewinnen, hatte Nil beschlossen, seinem Besitz zusammen mit seinem Sohn einen Besuch abzustatten: War es nicht seine Pflicht, dem Jungen sein bedrohtes Erbe vorzuführen? Seine Gattin, Rani Malati, hatte auch mitkommen wollen, was er jedoch mit Hinweis auf ihre zarte Gesundheit abgelehnt hatte. Stattdessen hatte er sich für Elokeshi entschieden, in der Hoffnung, dass sie ihm willkommene Ablenkung verschaffen würde. In der Tat war es ihr von Zeit zu Zeit gelungen, ihn seine Sorgen vergessen zu lassen, doch nun, mit der Aussicht auf eine persönliche Begegnung mit Benjamin Burnham, drückten sie ihn umso stärker.
    Nil versiegelte seinen neu geschriebenen Einladungsbrief und übergab ihn Parimal. »Bring ihn sofort zu dem Schiff
hinüber«, sagte er. »Und sorge dafür, dass Burnham-Sahib ihn bekommt.«
    Elokeshi rührte sich auf dem Bett und setzte sich auf, die Decken bis ans Kinn hochgezogen. »Willst du dich nicht wieder hinlegen?«, fragte sie. »Es ist noch früh.«
    »Na gut, ich komme.«
    Doch statt zum Bett zurück trugen seine Füße ihn davon, in der Kleidung, die er gerade anhatte, seinem fließenden roten chogā . Das Gewand vor der Brust zusammenhaltend, lief er den Gang entlang und stieg den Niedergang hinauf auf das oberste Deck des Badgero, wo sein Sohn noch immer Drachen steigen ließ.
    »Bābā «, rief der Junge. »Wo warst du denn? Ich warte schon eine Ewigkeit.«
    Nil ging zu ihm, hob ihn mit Schwung hoch und drückte ihn an seine Brust. Der Junge, der solche öffentlichen Liebesbezeigungen nicht gewöhnt war, wand sich in seinen Armen. »Was ist denn mit dir, bābā? Was tust du?« Er lehnte sich zurück und sah seinem Vater prüfend ins Gesicht. Dann drehte er sich zu den Bediensteten um, mit denen er gespielt hatte, und rief vergnügt: »Schaut! Schaut euch bābā an! Der Raja von Raskhali weint!«

FÜNFTES KAPITEL
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