Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das mohnrote Meer - Roman

Das mohnrote Meer - Roman

Titel: Das mohnrote Meer - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amitav Ghosh
Vom Netzwerk:
unbeherrschten Reaktion hinreißen ließ, wurde der erste Gang serviert, eine dampfende Suppe. Da die silberne Terrine gestohlen worden war, wurde die Suppe in dem einzigen noch vorhandenen Gefäß aus dem Edelmetall aufgetragen – einer muschelförmigen Punschbowle.
    Mr. Doughty gestattete sich ein erwartungsvolles Lächeln. »Rieche ich da etwa Ente?«, fragte er schnuppernd.
    Nil hatte keine Ahnung, was da serviert wurde, denn die Köche hatten fast bis zur letzten Minute nach Zutaten gesucht. Da der Badgero sich auf der letzten Etappe seiner Reise befand, gingen die Vorräte zur Neige. Die Nachricht von dem bevorstehenden großen Dinner hatte bei den Köchen Panik ausgelöst, und die Bediensteten waren in alle Himmelsrichtungen ausgeschwärmt, um zu angeln und einzukaufen. Mit welchem Resultat, wusste Nil nicht. So flüsterte Parimal ihm zu, die Suppe sei aus dem Fleisch desselben Vogels zube reitet worden, mit dessen Fett der Tisch poliert worden sei, was Nil jedoch für sich behielt. Den Gästen teilte er nur mit, die Suppe sei in der Tat aus den Überresten einer Ente gekocht worden.
    »Hervorragend«, sagte Mr. Doughty und leerte sein Glas. »Und der Sherry ist auch vorzüglich.«
    Obgleich froh über die Unterbrechung, hatte Nil Burnhams verächtliche Seitenhiebe auf seine Tätigkeiten nicht vergessen. Jetzt war er überzeugt, dass der Schiffseigner übertrieb, um ihn davon zu überzeugen, dass seine Firma tatsächlich so hohe Verluste gemacht habe. Betont beiläufig sagte er: »Es wird Sie vielleicht überraschen, Mr. Burnham, dass ich mich
in gewissem Umfang durchaus auf dem Laufenden halte. Dennoch habe ich noch nichts von dem Krieg gehört, von dem Sie sprechen.«
    »Nun, dann ist es an mir, Sie davon in Kenntnis zu setzen«, erwiderte Mr. Burnham, »dass die Behörden in Kanton seit einiger Zeit unnachsichtig gegen die Einfuhr von Opium nach China einschreiten. Wir alle, die wir dort geschäftliche Interessen verfolgen, sind der einhelligen Ansicht, dass man die Mandarine nicht einfach gewähren lassen kann. Eine Unterbindung des Handels wäre ruinös – für Unternehmen wie das meinige, aber auch für Sie und darüber hinaus für ganz Indien.«
    »Ruinös?«, wiederholte Nil leicht süffisant. »Aber wir haben den Chinesen doch gewiss Nützlicheres anzubieten als Opium?«
    »Ich wollte, es wäre so«, sagte Burnham. »Doch weit gefehlt. Vereinfacht gesagt: Es gibt nichts, was sie von uns wollen – sie haben es sich in den Kopf gesetzt, dass sie für unsere Erzeugnisse und Manufakturen keine Verwendung haben. Wir hingegen können auf ihren Tee und ihre Seidenstoffe nicht verzichten. Gäbe es das Opium nicht, würden Großbritannien und seine Kolonien einen nicht hinnehmbaren Kapitalabfluss erleiden.«
    Hier mischte sich plötzlich Mr. Doughty ein: »Der Witz ist, wissen Sie, dass die Schlitzaugen denken, sie könnten in die gute alte Zeit zurück, als sie beim Opium noch nicht auf den Geschmack gekommen waren. Aber es gibt kein Zurück, das kann nicht funktionieren.«
    »Die gute alte Zeit?«, fragte Nil überrascht. »Aber Chinas Hunger nach Opium geht doch bis ins Altertum zurück, nein?«
    »Altertum?«, höhnte Mr. Doughty. »Nein, mein Lieber, als ich zum ersten Mal nach Kanton fuhr, als junger Kerl, haben
die Opium nur in winzigen Mengen importiert. Die Schlitzaugen sind verdammt störrische Esel. Glauben Sie mir, es war ein hartes Stück Arbeit, sie zum Genuss von Opium zu überreden. Nein, Sir, Ehre, wem Ehre gebührt. Sie können drauf wetten, dass die Gier nach Opium immer noch auf ihre zweimal Geborenen beschränkt wäre, hätten die englischen und amerikanischen Kaufleute nicht so bewundernswerte Ausdauer bewiesen. Das Ganze hat sich fast in einer einzigen Generation abgespielt. Und dafür sind wir Mr. Burnham und seinesgleichen zu tiefem Dank verpflichtet.« Er prostete dem Schiffseigner zu. »Auf Ihr Wohl, Sir.«
    Nil wollte sich gerade dem Toast anschließen, als der nächste Gang serviert wurde. Er bestand aus im Ganzen gegrillten jungen Hähnchen. »Na, das lass ich mir gefallen!«, rief Doughty. Er spießte mit der Gabel den winzigen Kopf eines der Vögel auf und begann, genießerisch zu kauen, den Blick verträumt ins Leere gerichtet.
    Nil starrte in dumpfer Resignation das Hähnchen auf seinem Teller an. Er hatte plötzlich schrecklichen Hunger, und wäre die Dienerschaft nicht gewesen, er hätte sich bestimmt über den Braten hergemacht. So aber versuchte er, sich abzulenken,

Weitere Kostenlose Bücher