Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das mohnrote Meer - Roman

Das mohnrote Meer - Roman

Titel: Das mohnrote Meer - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amitav Ghosh
Vom Netzwerk:
lächelte und zupfte an seinem Zopf. »Nach sorgfältiger Überlegung habe ich ihm klargemacht, dass eine Passage nach Frankreich, selbst im Zwischendeck, auf jeden Fall mehr kosten würde, als das Medaillon wert ist. Es müssten schon zwei, drei solche Objekte sein. Für dieses eine könne er Sie nur nach Marich-Dip schicken.«
    Marich-Dip? Paulette runzelte die Stirn. Was meinte er damit? Der Ausdruck bedeutete »Pfefferinsel«, aber sie hatte ihn noch nie gehört. »Wo ist das?«
    »Das sind die Mauritius Islands, wie sie auf Englisch heißen.«
    »Oh, les Îles Maurices ?«, rief Paulette. »Da ist meine Mutter geboren!«
    »Ja, das hat er mir gesagt.« Der Gumashta lächelte dünn. »Er sagte: ›Dann geht Paulette nach Mauritius, das ist praktisch ihre Heimat. Dort kann sie mit den Freuden und Leiden des Lebens fertig werden.‹«
    »Und dann? Haben Sie ihm das Geld besorgt?«
    »Ich habe ihm gesagt, er soll in ein paar Tagen wiederkommen, dann würde es da sein. Aber wie hätte er kommen können? Eine Woche später ist er verschieden, nicht wahr?« Der Gumashta seufzte. »Man hat gesehen, dass sein Zustand bereits kritisch war. Seine Augen waren rot, die Zunge weißlich, ein Zeichen für fehlende Darmtätigkeit. ›Lambert-Sahib‹, riet ich ihm, ›verzichten Sie freundlicherweise auf Fleisch, nur ein paar Tage – vegetarischer Stuhl passiert leichter.‹ Aber er hat
sich wohl nicht daran gehalten; die Folge war sein frühes Ableben. Ich hatte dann große Schwierigkeiten, das Medaillon zurückzubekommen, der Geldverleiher hatte es schon an ein Leihhaus gegeben, und so weiter und so fort. Aber wie Sie sehen, ist es jetzt wieder in meinem Besitz.«
    Erst jetzt machte Paulette sich klar, dass er ihr das alles nicht hätte zu sagen brauchen. Er hätte das Geld einfach behalten können, und sie hätte nie davon erfahren. »Ich bin Ihnen aufrichtig dankbar, dass Sie das Medaillon zurückgebracht haben, Nob Kissin Babu«, sagte sie und streckte ihm unwillkürlich die Hand hin. Doch er wich zurück wie vor einer zischenden Schlange. »Ich weiß gar nicht, wie ich Ihnen danken soll.«
    Der Gumashta warf empört den Kopf zurück. »Aber Miss Lambert! Glauben Sie denn, ich würde etwas behalten, was mir nicht gehört? Ich mag in Ihren Augen ja ein Mann der Geschäfte sein – und wer ist das nicht in diesem Zeitalter des Bösen –, aber wissen Sie, dass meine Vorfahren elf Generationen lang Priester in einem der berühmtesten Tempel von Nabadwip waren? Einen von ihnen hat Chaitanya persönlich in der Liebe zu Krishna unterwiesen. Nur mir war es nicht beschieden, meiner Bestimmung zu folgen, das ist mein Unglück … Bis heute suche ich Krishna überall«, fuhr der Gumashta fort. »Aber was tun? Er beachtet mich nicht …«
    Seine Hand näherte sich der Paulettes, dann zögerte er und zog sie wieder zurück. »Und die Zinsen? Es fehlt mir an Mitteln, Miss Lambert, und ich spare für einen höheren Zweck – den Bau eines Tempels.«
    »Sie bekommen das Geld, keine Sorge«, sagte Paulette. Sie sah, dass sich ein Zweifel in den Augen des Gumashtas regte, als bereute er seine Großzügigkeit schon. »Aber Sie müssen mir das Medaillon hierlassen, es ist das einzige Bild, das es von meiner Mutter gibt.«

    In diesem Augenblick waren in einiger Entfernung Schritte zu hören: Der Khidmatgar kam vom Bootshaus zurück. Verzweiflung packte Paulette, denn es war ihr wichtig, dass niemand in Bethel von der Beziehung zwischen ihr und Mr. Burnhams Gumashta erfuhr – nicht weil es ihr Freude gemacht hätte, ihren Wohltäter zu hintergehen, sondern allein deshalb, weil sie den Burnhams nicht noch mehr Nahrung für ihre immer wiederkehrenden Klagen über ihren Vater und sein gottloses, unbedachtes Verhalten liefern wollte. Sie senkte die Stimme zu einem Flüstern und drängte den Gumashta auf Englisch: »Bitte, Babu Nob Kissin, ich bitte Sie inständig …«
    Da fasste der Gumashta, wie um sich auf sein besseres Ich zu besinnen, an seinen Zopf und zog daran. Dann öffnete er die Hand und ließ das Medaillon in Paulettes ausgestreckte Hand fallen. Er trat zurück, und im selben Moment ging die Tür auf, und der Khidmatgar meldete, dass das Boot bereit sei.
    »Kommen Sie, Babu Nob Kissin«, sagte Paulette, um einen fröhlichen Tonfall bemüht. »Ich bringe Sie zum Bootshaus. Kommen Sie, hier entlang!«
    Als sie das Haus durchquerten, blieb Babu Nob Kissin plötzlich an einem Fenster, das auf den Fluss hinausging, stehen. Er zeigte

Weitere Kostenlose Bücher