Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das mohnrote Meer - Roman

Das mohnrote Meer - Roman

Titel: Das mohnrote Meer - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amitav Ghosh
Vom Netzwerk:
Eintreten, nickend und mit dem Kopf wippend, während er gleichzeitig ein Stück zurückwich, um eine mögliche Verunreinigung durch Paulettes Person zu vermeiden. »Keine Verdauungsbeschwerden, ich hoffe?«
    »Aber nein, Babu Nob Kissin. Es geht mir sehr gut. Und Ihnen?«
    »Ich renne wie verrückt. Herr schickt mich – braucht dringend sein Kaik.«
    Paulette nickte. »Ich werde die Bootsführer verständigen.«
    Sie warf einen Blick über die Schulter und sah, dass der Khidmatgar im Flur aufgetaucht war. Sie schickte ihn zu den Bootsführern und führte Babu Nob Kissin in das kleine Empfangszimmer, in dem man Besucher und Bittsteller Platz nehmen ließ, bis sie zu Mr. Burnham vorgelassen wurden.
    »Möchten Sie vielleicht hier warten, bis das Boot bereit ist?«, fragte sie. Sie wollte die Tür schon wieder schließen, da bemerkte sie zu ihrer Beunruhigung, dass sich die Miene des Gumashtas verändert hatte. Ein Lächeln entblößte seine Zähne, und ein Kopfschütteln ließ seinen Zopf wackeln. »Oh, Miss Lambert«, sagte er in seltsam dringlichem Ton, »so oft ich komme nach Bethel, und immer ich will Sie sehen und eine
Sache besprechen. Aber nie Sie sind einsam mit mir eine Minute. Wie also Gespräche anfangen?«
    Paulette wich erschrocken zurück. »Aber Babu Nob Kissin«, sagte sie, »wenn Sie mir etwas sagen möchten, kann es doch gewiss in aller Öffentlichkeit geschehen?«
    »Nur Sie können beurteilen, Miss Lambert«, antwortete er, und sein Zopf tanzte so komisch hin und her, dass Paulette sich das Lachen verbeißen musste.

    Paulette war nicht die Einzige, in deren Augen der Gumashta etwas Absurdes an sich hatte. Viele Jahre und tausend Meilen später, als Babu Nob Kissin Pander seinen Weg in Ditis Schrein fand, erschien er dort als Einziger als Karikatur – in Gestalt einer großen Kartoffel, der zwei farnartige Ohren entsprossen. Doch Nob Kissin Pander steckte voller Überraschungen, wie Paulette sogleich feststellen sollte. Aus der Tasche seiner schwarzen Jacke zog er einen kleinen, mit Stoff umwickelten Gegenstand hervor. »Nur ein Moment, Miss, dann Sie werden sehen.«
    Er legte das Päckchen auf seine Handfläche und begann den Stoff vorsichtig zu lösen, mit spitzen Fingern, ohne den Inhalt auch nur ein einziges Mal zu berühren. Als die Hüllen entfernt waren und der Gegenstand in einem Nest aus Stoff vor ihnen lag, streckte er ihn Paulette entgegen, ganz langsam, als wollte er sie auffordern, ihm nicht zu nahe zu kommen. »Bitte nicht anfassen.« Doch auch so erkannte Paulette sofort das kleine Gesicht, das aus dem goldenen Medaillon in der Hand des Gumashtas zu ihr auflächelte. Es war die emaillierte Miniatur einer Frau mit dunklem Haar und grauen Augen: ihre Mutter, die sie im Augenblick ihrer Geburt verloren hatte und von der sie sonst kein Bild, kein Andenken besaß.
    Sie sah den Gumashta verwirrt an: »Babu Nob Kissin!«
Nach dem Tod ihres Vaters hatte sie die Miniatur überall vergeblich gesucht, sodass sie hatte annehmen müssen, sie sei in dem Chaos, das damals über das Haus hereingebrochen war, gestohlen worden. »Wie haben Sie das Medaillon denn gefunden? Und wo?«
    »Lambert-Sahib hat gegeben«, antwortete der Gumashta. »Eine Woche vor Auffahrt in Himmel. Seine Gesundheit sehr schlecht, Hände zittern wie verrückt, Zunge belegt. Muss schwere Verstopfung haben, und trotzdem kommt in meinen Daftar in Kidderpur. Unglaublich.«
    Paulette erinnerte sich in allen Einzelheiten an den Tag, so deutlich, dass ihr die Tränen in die Augen traten. Ihr Vater hatte sie gebeten, Jodu mit seinem Boot zu holen, und als sie ihn nach dem Grund fragte, hatte er gesagt, er habe in der Innenstadt zu tun und müsse über den Fluss. Sie hatte wissen wollen, was er zu tun habe und ob sie es ihm nicht abnehmen könne, aber er hatte nicht geantwortet und darauf bestanden, dass sie Jodu rief. Sie hatte dem Boot nachgeschaut, als es langsam den Fluss überquerte. Schon fast am anderen Ufer angelangt, hatte es zu ihrer Verwunderung nicht auf das Stadtzentrum zugehalten, sondern auf die Docks von Kidderpur. Was konnte ihr Vater dort wollen? Auf ihre Fragen gab er nach seiner Rückkehr keine Antwort, und auch Jodu konnte ihr nur sagen, dass ihr Vater ihn im Boot habe warten lassen und in den Basar verschwunden sei.
    »Kommt nicht erstes Mal in meinen Daftar«, fuhr der Gumashta fort. »Viele Sahibs und Mems kommen, wenn Geld nötig. Geben Schmuck und Kram zu verkaufen. Lambert-Sahib mich beehrt nur zwei oder

Weitere Kostenlose Bücher