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Das mohnrote Meer - Roman

Das mohnrote Meer - Roman

Titel: Das mohnrote Meer - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amitav Ghosh
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Gedichten und Namen gefeiert wurde, als Abgesandten jemand so Hellhäutigen schicken würde, jemanden, der nicht die geringste Spur von der Monsunwolkenfarbe Ghanshyams, des Wolkendunklen Herrn, aufwies. Doch bei aller Enttäuschung konnte Babu Nob Kissin nicht umhin zu bemerken, dass das Gesicht schön war, gar nicht unangemessen für einen Abgesandten des Bezwingers von Milchmädchenherzen. Die Augen waren dunkel und lebhaft, sodass man sie sich unschwer als Nachtvögel denken konnte, die aus dem mondbeglänzten Weiher der liebesdurstigen Lippen einer Jungfrau trinken. Und gewiss war es, wenn schon nicht direkt ein Zeichen, so doch zumindest ein schwacher Hinweis, dass sein Hemd gelblich war, von derselben Farbe wie die Kleider, in denen der Glückliche Herr sich gern mit den liebeskranken Mädchen von Vrindavan zeigte? Zudem war sein Hemd schweißfleckig, wie man es sich auch vom Unbekümmerten Krishna nach einem wilden Liebesspiel erzählte. Konnte es also nicht doch sein, dass dieser elfenbeinfarbene Leib genau das war, wovor Ma Taramony ihn gewarnt hatte: eine Manifestation, vom Göttlichen Schelm in Schleier der Illusion gehüllt, um die Glaubensstärke seines Anhängers auf die Probe zu stellen? Doch selbst dann musste es doch noch ein zusätzliches Zeichen, noch ein anderes Merkmal geben …?
    Die hervorquellenden Augen des Gumashtas traten noch weiter aus ihren Höhlen, als eine bleiche Hand herabkam, um ihm auf die Füße zu helfen. Konnte das eine vom Göttlichen Butterdieb selbst gesegnete Hand sein? Babu Nob Kissin ergriff sie und drehte sie um, inspizierte die Handfläche, die Linien, die Knöchel – doch nirgends fand er etwas Dunkles, außer unter den Nägeln.

    Die Intensität, mit der diese Prüfung unter heftigem Augenrollen vorgenommen wurde, beunruhigte Zachary sehr. »He, lassen Sie das!«, sagte er. »Was gibt’s denn da zu sehen?«
    Der Gumashta schluckte seine Enttäuschung hinunter und ließ die Hand los. Einerlei: Wenn die Manifestation das war, wofür er sie hielt, dann war sicher irgendwo am Körper noch ein Zeichen verborgen, er musste nur erraten, wo. Ein Gedanke kam ihm: War es möglich, dass der Meister des Unfugs sich den Scherz erlaubt hatte, seinem Abgesandten ein Attribut mitzugeben, das von Rechts wegen dem Blauhalsigen Herrn Shiva Nilkanth eignete?
    In seiner momentanen Bedrängnis erschien dies Nob Kissin Babu offenkundig zu sein. Er erhob sich schwankend und griff beherzt nach dem zugeknöpften Kragen von Zacharys Hemd.
    Obwohl der Griff des Gumashtas ihn überraschte, war Zachary flink genug, seine Hand wegzuschlagen. »Was soll denn das?«, rief er angewidert. »Sind Sie verrückt geworden?«
    Ernüchtert ließ der Gumashta die Hände sinken. »Nein, nein, Sir«, sagte er, »nur sehen, ob kanth ist blau.«
    »Ob mein was blau ist?« Zachary hob die Fäuste und nahm die Schultern zurück. »Wollen Sie mich beleidigen?«
    Der Gumashta prallte entsetzt zurück, überrascht, wie behände die Manifestation die Stellung eines Kriegers eingenommen hatte. »Bitte, Sir – keine Beleidigung. Ich nur bin Burnham-Sahibs Buchhalter. Name ist Babu Nob Kissin Pander.«
    »Und was haben Sie hier auf dem Achterdeck zu suchen?«
    »Bara Sahib schickt holen Schiffspapiere freundlichst von Ihnen. Logbücher, Mannschaftsrolle, alle Art Papiere, benötigt für Versicherungszwecke.«
    »Warten Sie hier«, sagte Zachary barsch und ging in seine
Kajüte zurück. Er hatte die Papier schon bereitgelegt und war im Nu wieder da. »Da sind sie.«
    »Danke, Sir.«
    Zachary bemerkte voller Unbehagen, dass der Gumashta noch immer seinen Hals mit der Intensität eines berufsmäßigen Würgers inspizierte. »Sie verziehen sich jetzt besser, Pander«, sagte er kurz angebunden. »Ich hab zu tun.«

    Im Dämmer des Zwischendecks hielten Jodu und Paulette einander fest umarmt, wie sie es als Kinder so oft getan hatten, nur dass damals nie ein so steifes, knisterndes Kleid zwischen ihnen gewesen war.
    Er kratzte mit dem Fingernagel an der Krempe ihrer Haube. »Du siehst so anders aus …«
    Er hatte angenommen, dass sie ihn nicht verstehen würde, dass sie ihr Bengali verlernt hatte, seit er sie zum letzten Mal gesehen hatte. Aber sie antwortete in derselben Sprache. »Ja, findest du?«, fragte sie. »Aber du bist es, der sich verändert hat. Wo bist du denn die ganze Zeit gewesen?«
    »Im Dorf«, erwiderte er. »Bei Ma. Sie war sehr krank.«
    Sie sah ihn überrascht an. »Oh. Und wie geht es Tantima

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