Das mohnrote Meer - Roman
geworden, und sie bemerkte in seinem Gesicht den Schatten dessen, was er fast schon war: ein Mann und damit zwangsläufig ein Fremder. Das brachte sie aus der Fassung, denn sie konnte sich nicht vorstellen, dass sie jemals einen Menschen so gut kennen würde, wie sie Jodu kannte. Unter anderen Umständen hätte sie sofort angefangen, ihn zu necken, mit jener erbarmungslosen Wildheit, mit der sie immer dann aufeinander losgegangen waren, wenn einer von ihnen auch nur ansatzweise versucht hatte, für längere Zeit aus ihrem intimen Universum auszubrechen. Was für ein schönes Geplänkel hätten sie anfangen, wie herrlich hätten sie einander aufziehen und verspotten, sich immer weiter hineinsteigern können, bis es in Püffen und Kratzern geendet hätte – doch in Zacharys Gegenwart musste sie sich mit einem Lächeln und einem Nicken begnügen.
Jodu seinerseits schaute von Paulette zu Zachary und merkte an ihrem verlegenen Gebaren sofort, dass zwischen ihnen etwas passiert war. Da er all seine Habe verloren hatte, machte er sich keine Gewissensbisse daraus, die wiedergefundene Freundschaft für seine Zwecke zu nutzen. »Sag ihm, er soll mich in die Mannschaft von diesem Schiff aufnehmen. Sag ihm, ich weiß nicht, wohin ich gehen, wo ich leben soll – und außerdem sind die schuld, weil sie mein Boot zerstört haben …«
Hier mischte sich Zachary ein. »Was sagt er?«
»Er sagt, er hätte gern Arbeit auf diesem Schiff«, erwiderte Paulette. »Jetzt, wo sein Boot kaputt ist, weiß er nicht mehr, wohin …«
Während sie sprach, nestelte sie an den Bändern ihrer Haube, eine linkische Schulmädchengeste, die für Zacharys ausgehungerte Augen so hinreißend war, dass es in dem Moment nichts gab, was er nicht für sie getan hätte. Kein Zweifel, sie war das glückliche Ereignis, das sich durch das Wiederfinden seiner Blechflöte angekündigt hatte, und wenn sie ihn gebeten hätte, sich ihr zu Füßen zu werfen oder in den Fluss zu springen, hätte er keinen Augenblick gezögert. Die Röte stieg ihm ins Gesicht, und er sagte: »Schon geschehen, Miss: Sie können auf mich zählen. Ich werde gleich mal mit unserem Serang reden. Ein Platz in der Mannschaft – das wird sich machen lassen.«
Als hätte er gehört, dass von ihm die Rede war, kam im selben Moment Serang Ali den Niedergang herab. Zachary nahm ihn sofort beiseite: »Der junge Mann hat keine Arbeit. Weil wir sein Boot versenkt und ihm zu einer Taufe verholfen haben, finde ich, wir sollten ihn als Schiffsjungen anstellen.« An dieser Stelle irrte Zacharys Blick wieder zu Paulette ab, die ihn mit einem strahlenden Lächeln belohnte. Weder dies noch das schüchterne Grinsen, mit dem es vergolten wurde, entgingen Serang Ali, und er kniff misstrauisch die Augen zusammen.
»Malum Zikri dumm in Kopf?«, fragte er. »Vor was will das Stuk Jung? Is Flussratt – nix kann lern segel Schiff. Besser weg fix-fix.«
Zacharys Stimme verhärtete sich. »Serang Ali«, sagte er scharf, »ich hab keine Lust auf ein langes Palaver. Ich möchte, dass du das erledigst, bitte.«
Serang Ali warf Paulette und Jodu einen gekränkten Blick zu, bevor er widerstrebend einwilligte. »Is gut. Mach all so.«
»Danke«, sagte Zachary, und er hob stolz das Kinn, als Paulette zu ihm hintrat und ihm ins Ohr flüsterte: »Sie sind sehr nett, Mr. Reid. Ich glaube, ich sollte Ihnen doch noch ausführlicher erklären, was Sie da gesehen haben – von mir und Jodu.«
Er schenkte ihr ein Lächeln, das sie dahinschmelzen ließ. »Sie schulden mir keine Erklärung«, sagte er leise.
»Aber vielleicht können wir trotzdem mal reden – als Freunde?«
»Wär mir …«
Plötzlich ließ sich Mr. Doughtys Polterstimme vernehmen: »Ist das der Tölpel, den Sie heute aus dem Wasser gefischt haben, Reid? Donnerlittchen, hat der Halunke doch tatsächlich seine Hochzeitsglocken in ein Paar Hosen gezwängt! Vor einer halben Wache war er noch ein nackter kleiner Hering, und jetzt ist er schmuck wie ein Zinnsoldat!«
»Ah, Sie haben sich schon kennengelernt, wie ich sehe«, sagte Mr. Burnham, als Zachary und Paulette durch die Luke auf das sonnenbeschienene Deck hinaustraten.
»Ja, Sir«, sagte Zachary, darauf bedacht, die Augen von Paulette abgewandt zu halten, die mit ihrer Haube die Stelle bedeckte, wo ihr Kleid von Jodus Lendentuch feucht geworden war.
»Gut«, sagte Mr. Burnham und begab sich zur Leiter, um in sein Kaik zu steigen. »Aber jetzt müssen wir weiter. Kommen Sie, Doughty. Paulette!
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