Das Mondkind (German Edition)
11.31 Uhr auf und sieht blinzelnd auf die Digitaluhr, weil er sich nicht sicher ist, ob es kurz vor Mitternacht oder kurz vor Mittag ist. Tageslicht hinter den Vorhängen löst dieses Rätsel.
Er kann sich nicht daran erinnern, ins Bett gegangen zu sein. Tatsächlich erinnert er sich an so gut wie nichts nach dem Abendessen am Vortag, das aus Tortillasuppe und Chicken Nachos bestand.
Als er sich aufsetzt, sich ans Kopfende seines Betts lehnt und versucht, wieder einen klaren Kopf zu bekommen, klopft jemand an die Tür.
Er sagt: »Herein«, und das Hausmädchen namens Aralu tritt ein und schiebt einen Frühstückswagen vor sich her, als hätte sie intuitiv geahnt, dass er länger als je zuvor schlafen und exakt um diese Zeit aufwachen würde.
Die Küche hat genug von Crispins Lieblingsspeisen rauf geschickt, um dreimal zu frühstücken. Eine silberne Kanne mit Kakao, aus deren Tülle wohlriechender Dampf aufsteigt. Ein gebuttertes englisches Muffin. Ein Muffin mit Schokoladenstückchen und ein Mandelcroissant. Eine große Schale mit frischen Erdbeeren, dazu braunen Zucker und ein kleines Sahnekännchen. Ein fettes, klebriges Rosinenbrötchen mit einer Kruste aus geraspelten Pekannüssen. In der Warmhalteschublade des Servierwagens sind noch, falls er Appetit darauf verspüren sollte, Bananenpfannkuchen und Ahornsirup.
Auf ihre Weise ist Aralu so hübsch wie die anderen Hausmädchen – es ist erstaunlich, wie hübsch sie alle sind – und immer freundlich. Als sie die Vorhänge aufzieht, um das Morgenlicht einzulassen, sagt sie zu ihm, es sei ein warmer Tag und die Berghüttensänger sähen dieses Jahr blauer als jemals zuvor aus. Außerdem würde Mr. Mordred heute nur von ein Uhr bis um vier Uhr in der Bibliothek Unterricht erteilen.
Während er das Angebot auf dem Frühstückswagen betrachtet, fühlt sich Crispin irgendwie begriffsstutzig und benebelt. Obwohl er nie ein übellauniger Junge war, ist er aus irgendwelchen Gründen verdrossen. Er klagt darüber, dass er nicht so viel essen kann. »Sie werden einen Teil davon Harley oder jemand anderem geben müssen.«
Als sie zum Bett zurückkehrt, sagt Aralu: »Papperlapapp, mein guter Junge. Das sind deine Leibspeisen und dein Bruder hat seine eigenen. Iss, was du willst, und den Rest werfen wir weg. Du bist ein braver Junge, du hast es verdient, die Wahl zu haben.«
»Es scheint eine solche Vergeudung zu sein.«
»Nichts ist vergeudet«, beteuert sie. »Es genügt schon, wenn dich der Anblick erfreut.«
Es ist ein anderer Wagen als sonst. Er hat kein Tablett, das man aufs Bett stellt. Der obere Teil des Wagens lässt sich stattdessen über sein Bett schwenken, damit er all diese Köstlichkeiten bequem in Reichweite hat.
Nachdem sie die Bluse ihrer Uniform zurechtgerückt hat, setzt sich Aralu auf die Bettkante, packt einen seiner Füße, der unter der Zudecke liegt, und drückt ihn liebevoll. »Du bist ein guter und rücksichtsvoller Junge, der sich Sorgen um Verschwendung macht.«
Obwohl seine Erinnerungen an den vergangenen Abend weiterhin nur verschwommene Umrisse im Nebel sind, fällt Crispin etwas ein, was er am gestrigen Nachmittag mitgekriegt hat. »Warum haben Sie Mirabell in Milch und den Blättern von Rosenblüten gebadet?«
Erst nachdem er die Frage gestellt hat, kommt ihm zu Bewusstsein, dass er nur davon weiß, weil er und Harley gelauscht haben.
Aralu zieht weder die Stirn in Falten, noch zögert sie überrascht, sondern sie antwortet so selbstverständlich, als hätte in Theron Hall niemand Geheimnisse. »In den allerbesten europäischen Familien gibt es traditionelle Schönheitskuren, und von kleinen Mädchen wird schon im Alter von sechs Jahren erwartet, dass sie diese Bräuche einhalten.«
»Wir sind keine Europäer«, murrt Crispin.
»Du bist jetzt Crispin Gregorio und du bist selbstverständlich Europäer, und sei es auch nur durch Heirat. Denk daran, die Familie lebt nur gelegentlich in Theron Hall und besitzt Häuser auf der ganzen Welt. Eure Mutter will sicher sein, dass ihr euch gut anpasst und in jedem Land zu leben versteht, in das es euch verschlägt.«
»Ich will jedenfalls nicht in Milch und Rosen baden.«
Aralu lacht ganz reizend und drückt wieder seinen Fuß. »Dazu wird es auch gar nicht kommen. Das ist nur was für Mädchen, du alberner Kerl.«
Crispin knabbert missmutig an seinem Croissant und sagt: »Ich wette, Mädchen mögen das auch nicht.«
»Mirabell war begeistert. Mädchen lassen sich liebend gern
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