Das Monster von Bozen
durchdrehen und aus dem Auto heraus auf sie schießen würde. Sie wusste, dass ihm das zuzutrauen war. Sie sah nach links, der Wagen war inzwischen genau auf ihrer Höhe – und er blieb stehen!
Sabrina Parlotti stockte der Atem. Was hatte sie sich dabei gedacht, Junghans so anzugehen? Es war doch von Anfang an abzusehen, dass er dasselbe machen würde wie zuvor: ein lästiges Hindernis kurzerhand aus dem Weg räumen. Sie war so dumm und naiv. Und jetzt war es vielleicht zu spät.
Aus dem Augenwinkel heraus nahm sie wahr, wie das rechte Fenster heruntergelassen wurde. Es war so schmutzig, dass sie von dem Fahrer lediglich schemenhafte Umrisse sah. Ein Kopf beugte sich über den Beifahrersitz. Instinktiv rutschte sie auf ihrem Sitz nach unten. Dann blickte sie in das freundliche Gesicht von Sesto Maggio, einem älteren Herrn, der drei Häuser weiter auf der gegenüberliegenden Seite wohnte. Manchmal hielten sie einen Plausch, wenn sie sich auf der Straße begegneten. Sie kannte sein Auto, war aber so sehr in ihrer Angst befangen gewesen, dass sie es nicht erkannt hatte.
Während sie den elektrischen Fensterheber betätigte, spürte sie, wie die Anspannung wich. Müde sah sie Signor Maggio an und grüßte ihn. » Buongiorno , Signora«, erwiderte er, »Sie sehen heute aber gar nicht gut aus. Und Sie sind so unsicher gefahren. Einmal sind Sie so weit nach links ausgeschert, dass Sie fast mit Ihrem Nebenmann zusammengestoßen wären. Da fehlten nur Zentimeter. Offenbar haben Sie das gar nicht mitbekommen. Was ist los mit Ihnen? Kann ich irgendetwas für Sie tun?«
Ja, besorg dir eine Waffe, fahr in die Prinz-Eugen-Allee, Hausnummer 15. Dort wohnt Franz Junghans. Drück die Klingel, und wenn er öffnet, erschieß ihn. Und dann komm zurück und sag mir, dass es vorbei ist, bitte!
»Alles in Ordnung, Signor Maggio. Ich hatte lediglich einen anstrengenden Tag im Büro. Jetzt bin ich froh, wenn ich mich hinlegen kann.«
»Wie Sie meinen. Also dann, ein schönes Wochenende, erholen Sie sich gut und lassen Sie sich nicht von Ihren Kunden ärgern, Kindchen.«
Mit pochendem Herzen sah Sabrina Parlotti ihm nach. Schwerfällig stieg sie aus, schleppte sich und ihre Einkaufstaschen die Treppe hoch. Sie erkannte sich selbst kaum wieder. Was war sie für ein hysterisches Waschweib! Als ob Junghans hinter ihr herfahren und sie abknallen würde. So ein Unsinn – Schluss damit! Sie musste das Essen vorbereiten, sich stylen, Kerzen aufstellen. Kerzen! Hoffentlich hatte sie noch genug oben in der Wohnung, bloß nicht deshalb allein in den Keller. Sie fieberte dem Moment entgegen, in dem sie Klaus ihre Schauspielerei beichten konnte.
***
Achatz war ein Spießer gewesen, allein deshalb verachtungswürdig. Panzini ein Niemand, Mancini ein schmieriger, dummer, hässlicher Wicht. Ihn zu beseitigen war eine Bürgerpflicht. Aber diese Parlotti toppte alle. Eine derartige Dreistigkeit war ihm noch nie untergekommen. Da sagte sie ihm geradewegs ins Gesicht, sie wisse, dass er ein Mörder sei, und das vor allen Leuten. So lässig, als rede sie übers Wetter. Und dann versuchte sie auch noch, ihn zu erpressen, drohte zwischen den Zeilen damit, der Polizei die Wahrheit zu sagen, falls er nicht mitspiele. Anfangs hatte er das alles für einen Bluff gehalten, hatte angenommen, sie wolle sich wichtigmachen, wie die meisten Frauen. Aber je mehr Details sie auspackte, desto klarer wurde ihm, dass sie nicht log.
Sie war tatsächlich bei Mancini gewesen, und der hatte brühwarm ausgepackt. Der Wicht hätte niemals die Courage gehabt, zur Polizei zu rennen. Aber seiner Ex-Affäre, die sich geradezu rührend um die Made kümmerte, konnte er sich anvertrauen. Endlich konnte er sein Gewissen erleichtern. Er hätte dieses Ungeziefer viel früher beseitigen müssen, in dem Moment, als ihm klar wurde, dass der Wicht ein Sicherheitsrisiko war. Er war viel zu nachsichtig, eindeutig eine seiner wenigen kleinen Schwächen.
Er musste zugeben, dass er die Situation mit Sabrina Parlotti in keiner Weise einkalkuliert hatte. Andererseits – Genialität war nicht zuletzt Improvisationstalent, und die seine allzumal. Genau das war jetzt wieder gefragt. Wenn man es recht bedachte, spielte ihm diese Entwicklung sogar in die Hände. Sie hatten Gemini laufen lassen – unbegreiflich angesichts der erdrückenden Beweislast, aber von entscheidendem Vorteil, egal, ob die Entlassung eine Finte war oder nicht. Wenn er es clever anstellte – und das würde er, daran
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