Das Monster von Bozen
versichert hatte, dass niemand in der Nähe war, stand sie auf und trat aus den Baumschatten hervor. Zügig ging sie auf eine kleine Gruppe von Fahrzeugen zu, die gleich links neben dem Eingangsportal parkten. Vor einem schwarzen Mitsubishi Pajero griff sie in ihre Jackentasche, zog etwas hervor und hielt es in Richtung Auto. Man konnte das leise Klicken der Zentralverriegelung hören. Schnell und wendig schlüpfte die Gestalt auf den Fahrersitz. Wenige Sekunden später rollte der Geländewagen im Schritttempo und ohne Scheinwerfer über die gekieste Zufahrt. Der Sechszylinder war kaum zu hören. Das elektrische Tor schwang lautlos auf, der Mitsubishi bog zügig nach rechts ab. Hinter ihm schloss sich das Tor genauso geräuschlos wieder.
Vierhundert Meter weiter gingen die Scheinwerfer an, und der Wagen fuhr, jetzt wesentlich schneller, in Richtung Eisack davon.
***
Panzini wurde die Unruhe nicht los. Er hatte ein paar Spaghetti in sich hineingeschaufelt, dabei wahllos im Fernsehen hin- und hergezappt und trank, obwohl er später noch den Mendelpass hinauffahren wollte, seinen Lieblingswein, einen Gewürztraminer. Genießen konnte er ihn nicht, er war viel zu aufgewühlt, zu gespannt auf das, was ihm Daniele gleich erzählen würde.
Was erwartete er sich eigentlich? Wahrscheinlich waren das doch alles nichts als Hirngespinste. Dennoch, da war irgendetwas, was ihm schon vorher, noch vor Achatz’ Herzinfarkt, aufgefallen war, aber er hatte es nicht bewusst abgespeichert, konnte sich beim besten Willen nicht mehr erinnern. Es hatte mit Achatz’ Gepäck zu tun. Fragte sich bloß, was? So sehr er sich auch anstrengte, es wollte nicht klick machen. Er schaute auf seine Armbanduhr: zweiundzwanzig Uhr dreißig. Er leerte das Glas in einem Zug, nahm seine kleine Reisetasche, die er gleich beim Nachhausekommen gepackt hatte, verließ sein Haus und stieg in seinen BMW Z3. Er machte sich eigentlich nichts aus Autos, aber nachdem ihn häufig Kunden auf seinen alten Fiat angesprochen hatten, war ihm nichts anderes übrig geblieben, als sich etwas Standesgemäßeres zuzulegen. Da er als Witwer kein großes Auto brauchte, hatte er sich für den kleinen Sportwagen entschieden.
Als er die Südtiroler Weinstraße erreichte, war es fast elf. Wenn er ankam, hatte Daniele bestimmt längst einen Lagrein entkorkt. Weil um diese Zeit nichts mehr los war, gab Panzini Gas. Wenige Minuten später bog er kurz vor Kaltern nach rechts zum Mendelpass ab. Auf den vierzehnhundert Meter hohen Pass führten etliche Kehren und Steilkurven, die immer wieder spektakuläre Tiefblicke auf den Kalterer See und die Lichter der kleinen Orte an der Südtiroler Weinstraße freigaben.
Ungefähr auf tausend Meter flachte die Straße vorübergehend ab, schlängelte sich aber eng an schroffen Steilfelsen entlang. Auf der anderen Straßenseite ging es steil in die Tiefe. Panzini genoss die Fahrt, es kam ihm vor, als würde sein BMW wie auf Schienen um die Kurven schnüren. Er fuhr fast hundert. Plötzlich, in einer scharfen Rechtskurve, reagierte er einen Augenblick zu spät. Schon war er auf der Gegenspur und sah den Abgrund auf sich zukommen. Nur noch im Reflex gelang es ihm, das Lenkrad in letzter Sekunde herumzureißen und zu bremsen.
Schweiß lief ihm übers Gesicht, seine Hände klebten. »Mein Gott, Ernesto«, sagte er laut zu sich selbst, »was soll dieser Wahnsinn? Ist doch egal, ob du fünf Minuten früher oder später ankommst. Konzentrier dich gefälligst!«
Er fuhr langsamer weiter und erreichte nach wenigen Minuten die Passhöhe mit ihren Hotels und Restaurants. Dort zweigte eine kleine, unbeleuchtete Straße nach rechts ab zum Hotel und dem Aussichtspunkt des Monte Penegal. Ein wenig abseits hatte sich Daniele dort eine urige Berghütte errichtet.
Die schmale Straße überwand die ersten zweihundert Höhenmeter in einigen engen Kehren. Seit dem Abzweig zum Pass war Panzini kein Fahrzeug mehr entgegengekommen, niemand fuhr zu so später Stunde noch in die Berge. Innerlich noch immer voller Unruhe, merkte er kaum, wie er bei der Auffahrt um die schmalen Kurven allmählich wieder schneller wurde. Bald nutzte er auch die Gegenspur, um die Kehren in spitzem Winkel anzufahren und Zeit zu gewinnen. Schon näherte er sich der letzten und engsten Kehre, bald hatte er es geschafft.
Doch hinter der Kurve geschah etwas Merkwürdiges, etwas, was Panzini an diesem Ort um diese Zeit niemals erwartet hätte. Sein Adrenalinspiegel schnellte in die
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