Das Monster von Bozen
Höhe, sein Puls beschleunigte sich. Unvermittelt blickte er in ein einziges riesiges Lichtermeer. Da seine Augen sich längst an die Dunkelheit gewöhnt hatten, konnte er fast nichts mehr sehen. Vor Schreck riss er die rechte Faust in die Höhe und brüllte in das grelle Nichts: »Verdammte Touristen, saufen sich erst zu und fahren dann noch!«
Auf einmal machte das Lichtermeer mit quietschenden Reifen einen Satz nach vorne und raste direkt auf seinen BMW zu. Panzini wurde starr vor Schreck, wie gelähmt starrte er auf die grellen Scheinwerfer, die unbeirrt auf ihn zukamen. In seinen Ohren rauschte das Blut, längst hätte er mit voller Kraft auf die Bremse treten müssen, sein Puls dröhnte wie Hammerschläge. Aber er war unfähig zu reagieren. In Bruchteilen von Sekunden war das Lichtermeer fast auf seiner Höhe. In Panik riss er das Lenkrad nach rechts, einfach nur weg von dem gleißenden Unheil schräg links vor ihm. Leitplanken fehlten an dieser Stelle, vermutlich sollten sie erneuert werden, vor ihm war der Abgrund.
Panzini sah nur noch das Licht. Vollständig geblendet, hatte er jegliche Orientierung verloren, seine Hände hielten sich krampfhaft an dem kleinen Sportlenkrad fest. Dann spürte er einen Aufprall irgendwo hinten am Wagen, wie durch einen Nebel vernahm er das typische Geräusch, wenn Blech auf Blech aufschlägt. Der kleine Z3 machte einen Sprung nach vorn, die Vorderräder drehten im Leeren, Panzini schrie. Unter ihm öffnete sich die Dunkelheit.
Das Lichtermeer schrumpfte auf zwei Abblendlichter zusammen und entfernte sich rasch in Richtung Mendelpass.
6
Mailand, Samstag, 27. Juni
In der Via Ancona klingelte der Wecker um sieben Uhr. Gianna musste in die Kanzlei.
Es war ihr nicht verborgen geblieben, dass Vincenzo enttäuscht war, weil das Wochenende anders verlief als geplant und weil sie sich gestritten hatten. Warum konnte er nicht verstehen, dass sie sich noch nicht zu einem solchen Schritt durchringen konnte? Käme Vincenzo nach Mailand, wäre das eine kluge Entscheidung für beide, davon war sie überzeugt. Diese Stadt hatte viel zu bieten, anders als die Provinz. Und man hatte als Commissario viel bessere Aufstiegschancen. Außerdem verfügte ihr Vater über gute Verbindungen.
Aber davon wollte ihr Freund nichts wissen. Überhaupt schien es ihm an Ehrgeiz zu mangeln. Egal, wann und wo sie sich trafen, er konnte sich sofort auf sie einstellen, niemals schien er in Gedanken noch bei einem Fall zu sein. Einerseits schmeichelte ihr das, andererseits fand sie es merkwürdig. Und es ärgerte sie, dass er so wenig Verständnis dafür zeigte, wenn ihr der Beruf wichtiger war. Er begriff nicht, dass jemand, der seinen Beruf im wahrsten Sinne des Wortes als Berufung empfand, nicht einfach umschalten konnte wie mit einer Fernbedienung.
Das war ihr größtes Problem in dieser Beziehung. Sie bevorzugte zielstrebige Männer, bei denen der Beruf an erster Stelle stand. Sie hatte ihren Vater stets für seinen Einsatz bewundert und dass er es so weit gebracht hatte, ohne die Familie zu vernachlässigen.
Und ständig redete Vincenzo von seinen heiß geliebten Bergen. Wenn man in der Mailänder Peripherie lebte, war man auch schnell im Gebirge, was machte das für einen Unterschied? Vincenzo war so anders als sie, und ob das auf die Dauer gut ging, wusste sie noch nicht. Deshalb war es verfrüht, über Jobwechsel und Umzüge nachzudenken.
Sie sah den schlafenden Vincenzo eine Weile an. Du hast einen starken Charakter, dachte sie, und du siehst phantastisch aus. Deshalb fand sie ihn trotz aller Gegensätze so anziehend. Sie stand auf und fuhr in die Kanzlei.
***
Penegal
Seit dem Aufstehen versuchte Daniele Laurenzi vergeblich, seinen Freund Ernesto Panzini zu erreichen. Inzwischen war es fast Mittag, aber er hatte immer noch nichts von ihm gehört und begann, sich ernsthafte Sorgen zu machen. Er rief Panzinis Kollegen an, soweit er sie von gemeinsamen Ausflügen kannte.
Klaus Mantinger erreichte er auf einer Bergtour. »Tut mir leid, Dottore Laurenzi, ich kann Ihnen nicht weiterhelfen. Sie haben wahrscheinlich mitbekommen, was mit unserem Partner Arthur Achatz passiert ist. Wir waren noch am Freitag viel zu niedergeschlagen, um großartig zu reden. Keine Ahnung, wo Ernesto stecken könnte. Ich wusste auch nicht, dass er mit Ihnen verabredet war. Außerdem bin ich schon seit gestern Nachmittag unterwegs.«
»Dann will ich Sie nicht länger aufhalten, vielen Dank, Signore. Viel
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