Das Monster von Bozen
standen.
Vincenzo bemerkte es und schob seinem Kollegen die Etagere mit den Cantuccini zu. »Dottore Baroncini vertraut uns, also werden wir diesen Fall lösen. Panzini hatte keine engen Familienangehörigen. Wir beginnen unsere Ermittlungen daher in seinem beruflichen Umfeld. Zuerst müssen wir herausfinden, was Panzini um diese Zeit auf dem Penegal wollte. Wir sprechen noch heute mit diesem Dottore Laurenzi, der den Unfall gemeldet hat. Das übernehmen Sie, sprechen Sie bitte auch noch mal mit den Carabinieri und den Männern von der Bergwacht. Ich fahre derweil zum Penegal, vielleicht fällt mir irgendetwas auf. Die Kollegen überprüfen inzwischen, wie viele Pajero V6 in Bozen zugelassen sind. Danach mache ich mich auf den Weg zur SSP und rede mit Panzinis Kollegen. Morgen machen wir in aller Frühe weiter. Wir dürfen keine Zeit verlieren.«
***
Im Gespräch mit Dottore Laurenzi fand Marzoli schnell heraus, warum Panzini auf den Penegal wollte.
Vincenzo erreichte unterdessen den Unfallort. Den Wagen ließ er am Pass stehen und ging zu Fuß weiter. Er sah sich um, versuchte sich vorzustellen, was Freitagnacht geschehen sein konnte. Jetzt, da er die Gegebenheiten nicht bloß in seiner Erinnerung, sondern real vor Augen hatte, kam ihm ein tödlicher Unfall noch unwahrscheinlicher vor. Was hatte sich hier abgespielt?
Er schloss die Augen, sah einen Z3, der den Pass hinaufgerast kam, rechts in die Zufahrtsstraße zum Penegal abbog und sofort wieder Gas gab. Schnell bog er um die Serpentinen in Richtung Aussichtspunkt, näherte sich der letzten Kurve. Hier kam ihm unvermittelt ein großer Geländewagen entgegen, schoss vielleicht direkt auf ihn zu. Da die enge Kehre den Pajero lange verdeckte, konnte Panzini den Wagen wahrscheinlich trotz Scheinwerfern erst spät sehen. Dennoch hätte er selbst bei sehr hoher Geschwindigkeit noch reagieren können, zumal er bergauf unterwegs war. Eine Vollbremsung hätte ausgereicht, um nicht in die Schlucht zu stürzen. Der Pajero hätte ihn mit voller Wucht in den Abgrund schleudern müssen, doch diesen Rückschluss ließ die kleine Macke am Kotflügel des Z3 nicht zu. Warum hatte Panzini so spät reagiert?
Vincenzo stellte sich den Penegal bei Dunkelheit vor, er kannte die Straße gut, er war oft genug nachts hier heraufgefahren. Selten war ihm jemand begegnet, er wäre niemals auf die Idee gekommen, dass ihm hier etwas zustoßen könnte. Warum gab es keine Bremsspuren? Wie war eigentlich die Nacht von Freitag auf Samstag gewesen? Vollmond? Sternenklar? Nein, kein Vollmond, es war sehr düster. Da es hier oben keinerlei künstliches Licht mehr gab, musste es zur Tatzeit stockfinster gewesen sein.
Penegal, Pass, Sportwagen, Serpentinen, Nacht, Geländewagen, Dunkelheit.
Wieder sah Vincenzo vor seinem geistigen Auge den Z3 um die Kehren rasen. Dunkelheit, finstere Nacht … Nacht, Dunkelheit. Aber ja! Das war die Lösung, vollkommene Dunkelheit! Natürlich. Nicht der Crash hatte den Z3 ins Schleudern gebracht. Der Pajero musste mit laufendem Motor vor der Kehre gestanden haben, ohne Licht, schwarz, nicht erkennbar für Panzini. Als der Z3 nah genug herangekommen war, schaltete der Täter urplötzlich das Fernlicht an, mit Sicherheit auch einige zusätzliche Reihenscheinwerfer, wie es sie bei Geländewagen häufiger gab. Panzini wurde völlig überrascht und war sofort geblendet. So schnell konnte sich das menschliche Auge nicht anpassen.
Noch ehe Panzini reagieren konnte, war der Pajero auf ihn zugeschossen, er riss das Lenkrad reflexartig herum und bums – kurz vor dem Abgrund versetzte ihm der Pajero sozusagen den Todesstoß. So musste es abgelaufen sein. Es gab gar keine andere Erklärung. Wie kaltblütig musste sein Mörder sein! Vinzenco ging zurück zum Auto. Er wollte schnellstens zur SSP.
***
Dass sie überhaupt noch nichts von den Carabinieri gehört hatten … War er tatsächlich noch nicht gefunden worden? Möglich wäre es, schließlich war der Abgrund an dieser Stelle erfreulich tief. Aber selbst wenn sie kämen, was würde das schon ändern? Dann wüsste eben jeder, dass man innerhalb weniger Tage gleich zwei liebe Kollegen auf tragische Weise verloren hatte. Immerhin waren sie jetzt nicht mehr so dringend auf Neuprojekte angewiesen, Panzinis Position musste in dieser Situation nicht neu besetzt werden. Ein weiterer Vorteil.
Ob sie die Ermittlungen einstellen würden? Wahrscheinlich nicht. Machten sie ihre Arbeit ordentlich, dann mussten sie die
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