Das Monster von Bozen
Spuren finden. Er hatte zwar nicht vorgehabt, irgendwelche Hinweise zu hinterlassen, aber sie sorgten für einen zusätzlichen Nervenkitzel. Die Beule, die ließe sich leicht erklären, sie hatten sozusagen die Tatwaffe, aber noch lange nicht den Täter. Jeder hätte den Wagen fahren können – spannend, sehr spannend. Er freute sich schon auf diese stümperhafte Wald- und Wiesenpolizei, was für ein prickelndes Katz-und-Maus-Spiel! Selbstverständlich hatte er auf allen Ebenen Vorsorge getroffen und mögliche Komplikationen vorhergesehen. Er wusste, irgendwann könnte ihm einmal jemand auf die Schliche kommen. Längst hatte er entsprechende Gegenmaßnahmen getroffen. Und bei Entwicklungen, die er nicht vorhersah, war seine Fähigkeit zur Improvisation seine beste Waffe. So etwas machte ihm Spaß, es inspirierte ihn. Er konnte in aller Seelenruhe zusehen, wie sein jüngster Akt der Improvisation griff. Die Polizei würde sich an seinem Genie die Zähne ausbeißen.
***
Vincenzo fuhr auf den großen Besucherparkplatz. Die Firma hatte sich eine vornehme Gegend ausgesucht – das also war die Welt der Unternehmensberater. Er stieg aus und ging auf den gläsernen Eingangsbereich zu, den man über einige breite Stufen aus hochwertigem Naturstein erreichte. Plötzlich blieb er wie vom Donner gerührt stehen. Direkt neben dem Eingang parkte ein schwarzer Mitsubishi Pajero V6. Das war doch nicht möglich, das musste Zufall sein. Kein Mensch wäre so dumm, mit seinem Wagen einen Mord zu verüben, dabei Spuren zu hinterlassen und dann mitten auf dem Firmengelände zu parken, so als wäre nichts geschehen.
Er schaute sich um. Als er sicher war, dass ihn noch niemand bemerkt hatte, ging er um das Auto herum.
War das denn die Möglichkeit? Eine Beule, eher eine kleine Delle, exakt an der Stelle, die ihm Reiterer beschrieben hatte. Und neben den serienmäßigen Scheinwerfern eine weitere Lichterreihe, sechs an der Zahl, genug, um einen entgegenkommenden Fahrer zu blenden, wenn sie plötzlich eingeschaltet wurden.
Kopfschüttelnd rief er in der Questura an. Er brauchte die Spurensicherung und Marzoli. Seinen Wagen stellte er um, direkt hinter den Pajero, damit niemand damit verschwinden konnte, ehe die Kollegen eintrafen.
Zielstrebig ging Vincenzo zum Empfang. Da er sich auf der Homepage der SSP umgesehen hatte, wusste er, wer die Firma leitete. »Guten Tag, ich bin Commissario Vincenzo Bellini. Ich möchte mit Signor Salvatore Gemini sprechen.«
»Oh mein Gott, ist irgendwas mit Signor Panzini?«
»Signor Gemini, bitte.«
Die erschrockene Dame vom Empfang führte ihn in ein kleines Besprechungszimmer, Gemini, hager und energisch, erschien nach kaum einer Minute. »Was kann ich für Sie tun, Commissario?«
»Ist es richtig, dass Ernesto Panzini bei Ihnen beschäftigt ist?«
»Ja, er ist heute nicht zur Arbeit erschienen. Ist ihm etwas zugestoßen?«
Vincenzo berichtete, was geschehen war, ohne den Mordverdacht zu erwähnen. Dann fragte er: »Wem gehört der schwarze Pajero draußen auf dem Parkplatz?«
»Dottore Franco, einem unserer Berater. Warum fragen Sie?«
Vincenzo fand es erstaunlich, wie gelassen Gemini blieb, hatte man ihm doch soeben mitgeteilt, dass einer seiner Mitarbeiter tödlich verunglückt war. »Ich möchte mit Dottore Franco sprechen.«
»Natürlich, ich hole ihn, einen Moment bitte.« Nach kurzer Zeit kam Gemini zurück, in seiner Begleitung ein schlanker Mann jenseits der Fünfzig, dessen braunes Haar bereits leicht angegraut war. Vincenzo bat, mit Dottore Franco allein sprechen zu dürfen.
Franco schien geschockt über die Nachricht von Panzinis Tod am Penegal. »Der arme Ernesto, das kann doch nicht wahr sein! Er hat mich noch am Freitag nach Hause gefahren. Und jetzt soll er tot sein?«
Vincenzo wurde sofort hellhörig. »Warum hat Panzini Sie nach Hause gefahren? Sie haben doch einen eigenen Wagen.«
»Das stimmt, aber am Freitag war der Schlüssel verschwunden, ich konnte ihn nirgends finden. Ich dachte mir, dass ich bis Montag warte und dann noch mal in Ruhe nachschaue. Wenn man nervös ist, übersieht man schnell was. In der Tat habe ich den Schlüssel heute Morgen auf Anhieb gefunden. Er war in eine Akte gerutscht.«
»Soso, in eine Akte. Das heißt also, dass Sie den Wagen das ganze Wochenende über nicht benutzt haben?«
»Richtig. Warum fragen Sie mich das alles?«
Ohne darauf einzugehen, stellte Vincenzo seine nächste Frage. »Sie hätten Ihr Auto jederzeit abholen
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