Das Monster von Bozen
Mögliche bedeuten, auch, dass die schon vorher da waren. Wenn nicht, haben wir es zumindest mit Fahrerflucht zu tun. Dann sind wir zuständig. Die Blechteile sind unten bei Signor Reiterer, sie versuchen, aus den Lackspuren den Fahrzeugtyp zu ermitteln.« Anton Reiterer war seit vielen Jahren Leiter der Spurensicherung, ein Urgestein der Questura. Er war kompetent, zuverlässig, schnell und hatte einen Hang zur Ironie.
»Wer ist das Opfer?«
»Ein Ernesto Panzini. Ich möchte, dass Sie sich in die Akte einlesen. Die Spurensicherung meldet sich bei Ihnen, sobald sie den Fahrzeugtyp herausgefunden haben. Vielleicht gibt es dann auch noch andere Hinweise. Informieren Sie mich, sobald Sie etwas Neues erfahren.«
Vincenzo nahm die Akte mit in sein Büro und begann darin zu blättern. Viel mehr gab es dort nicht nachzulesen, im Grunde bloß das, was der Vice-Questore schon erzählt hatte. Ein Detail aber fiel ihm sofort auf: Das Opfer war Mitarbeiter der Firma SSP – South Tyrol Strategy Partner in Bozen. Der Deutsche, den der Herztod auf dem Arthur-Hartdegen-Weg ereilt hatte, hatte auch bei der SSP gearbeitet. Das war ein merkwürdiger Zufall. Vielleicht ging es um mehr als zwei simple Unfälle?
Von wachsender Neugier getrieben, machte er sich auf den Weg zur Spurensicherung, ohne auf Reiterers Anruf zu warten. » Buongiorno , Signor Reiterer, ich komme wegen des Unfalls auf dem Penegal. Hat die KTU neue Erkenntnisse gebracht? Uns interessieren besonders die Lackspuren.«
Reiterer sah von seinem Rasterelektronenmikroskop auf. » Buongiorno , Commissario, wie immer ist Ihre Sache dringender als alles andere. Wie Sie sehen, arbeite ich gerade daran. Werter Kollege, ich rege hiermit an, dass Sie in der Questura sammeln gehen und mir ein allumfassendes Analysegerät besorgen. Das kann ich dann auf irgendwas oder irgendwen draufhalten, und schon liefert es mir eine vollständige Analyse. Aber die verstehe dann selbstredend nur ich, weil ich allein der Fachmann bin, denn sonst wäre ich ja überflüssig. – Spaß beiseite. Wir haben noch keine verwertbaren Erkenntnisse. Es war vermutlich ein Pajero, ein Geländewagen, den genauen Typ haben wir noch nicht. Ich schätze, bis zum Nachmittag wissen wir mehr. Ich komme dann zu Ihnen.«
Als Vincenzo schon fast wieder an der Tür war, rief Reiterer ihm nach: »Denken Sie an das Analysegerät, Bellini! Es muss alles können. Das wären für jeden bloß ein paar Monatsgehälter, dann erfindet mir das irgendwer, da bin ich mir sicher.«
Ohne sich noch einmal umzudrehen, antwortete Vincenzo: »Ich werde Baroncini diesen Vorschlag unterbreiten. Mal sehen, was er davon hält.«
Es war inzwischen fast elf Uhr. Vincenzo beschloss, alles Wissenswerte über die SSP zu sammeln und dann zu seinen Eltern in die Trattoria zu gehen. Es gab schließlich einiges zu erzählen.
Eine Stunde später saß er bei Ladiner Tultres, großen Teigtaschen mit einer Quark-Spinat-Füllung, mit seinen Eltern zusammen. Antonia besaß einen gewissen Pioniergeist. Schon bald, nachdem sie und Piero ihre Trattoria in Bozen eröffnet hatten, war sie auf die Idee gekommen, die klassische Speisekarte um »Ladinische Gerichte« zu erweitern. Crafuns mori, Tultres, Puncerli und Cancì blanc lockten zusätzlich zur Stammkundschaft aus Einheimischen und den Touristen, die gerne in Italien in eine Trattoria gingen, viele Gäste an, die jene eigentümlichen Spezialitäten aus dem Herzen der Dolomiten probieren wollten. Sogar in einigen Reiseführern wurde die Trattoria deshalb inzwischen erwähnt.
»Erzähl, Junge, wie war dein Wochenende in Mailand?«
»Ausgesprochen gelungen, Mama. Wir waren Samstagabend bei Giannas Eltern zum Essen eingeladen.«
Antonia sah ihren Sohn misstrauisch an. »Bei diesen Rechtsanwälten? Das war gelungen? Ich verstehe ohnehin nicht, was du mit einer Rechtsanwältin willst, und dann auch noch aus Mailand. Das ist nicht deine Welt, Vince. Schuster, bleib bei deinen Leisten. Du hast dich immer so gut mit Teresa verstanden. Sie ist so ein hübsches Mädchen, und ganz natürlich. Ihre Eltern leben hier in Bozen, herzensgute, einfache Menschen. Mit Teresa hättest du keine Probleme, dafür einen Stall voll Kinder.«
Vincenzos Eltern taten sich schwer, Gianna zu akzeptieren. Nicht, weil sie sie nicht mochten, sondern weil sie nicht in ihr Weltbild passte. Sie waren der Meinung, dass Rechtsanwälte – wenn man sie denn überhaupt brauchte – Männer sein mussten. Und Mailand war aus ihrer
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