Das Monster von Bozen
zufallsgenerierte E-Mail-Adresse bei Yahoo eine Nachricht ein: »Für Sie ist ein Paket angekommen.«
11
Freitag, 3. Juli
Ratlos schauten Vincenzo Bellini und Guiseppe Marzoli auf die Pinnwand mit der Fallanalyse. Sie steckten fest. Solange sie keine direkte Verbindung zu den Morden herstellen konnten, würden sie aus Liechtenstein nichts Näheres über die IFS erfahren.
Vincenzo stöhnte. »Keine IFS ohne Beweise, keine Beweise ohne IFS. Ich komme mir vor wie der Hauptmann von Köpenick. Das ist zum Verzweifeln.« Egal, wen sie befragten, jedes Mal wurden die Fragezeichen zahlreicher, ohne dass sie offensichtliche Widersprüche feststellen konnten. Alles schien logisch, auch der IFS-Fonds.
Vincenzo nutzte den Leerlauf in den Ermittlungen, um das inzwischen stattliche Chaos auf seinem Schreibtisch zu beseitigen und überfällige Berichte zu schreiben. Gerade, als er sein Büro abschließen wollte, um zur Trattoria zu gehen, wo die Nürnberger Verwandten auf ihn warteten, klingelte das Telefon. »Pronto?«
»Dottoressa Paci, gut, das ich Sie noch antreffe, Commissario. Können Sie in die Gerichtsmedizin kommen? Der Obduktionsbefund ist fertig.«
So schnell hatte Vincenzo damit nicht gerechnet. Es würde ihm Ärger mit Mama einbringen, wenn er später kam, aber das spielte keine Rolle. »Ich bin sofort bei Ihnen, Dottoressa.« Nun würde er erfahren, ob sie es mit einem oder mit zwei Mordfällen zu tun hatten.
» Buona sera , Dottoressa Paci, ich bin sehr gespannt, was Sie mir erzählen können. Toll übrigens, wie schnell Sie das geschafft haben!«
Claudia Paci hatte die dichteste und wildeste Mähne, die Vincenzo je bei einer Frau gesehen hatte. Ihr schmales, eher herbes Gesicht schien sich in den roten Locken regelrecht zu verlieren. »Vielen Dank, Commissario! Der Tote hatte Herzrhythmusstörungen. Ansonsten konnte ich keine Auffälligkeiten feststellen, keine weiteren Vorerkrankungen, ein für sein Alter normales Lungenvolumen.«
Vincenzo nickte ihr aufmunternd zu. »Aber?«
»Das Entscheidende ist der toxikologische Befund, den Baroncini angeordnet hat. Das Ergebnis ist banal: Digitalis purpurea.«
»Wie bitte? Digitalis purpurea? Was bedeutet das, Dottoressa?«
Claudia Paci schob Vincenzo über ihren Schreibtisch ein aufgeschlagenes Buch zu, in dem diverse Pflanzen abgebildet waren. Sie tippte mit dem Zeigefinger auf das Foto eines langstieligen Gewächses mit etlichen kelchförmigen Blüten. »Arthur Achatz wurde mit dieser Pflanze vergiftet, die bei uns weit verbreitet ist und um diese Jahreszeit blüht: roter Fingerhut, eine der giftigsten Pflanzen Europas. In geringer Dosierung werden Substanzen der Digitalis purpurea in Medikamenten gegen Herzinsuffizienz eingesetzt, zum Beispiel Digimerck. Eine Überdosierung kann auch bei gesunden Menschen zum Herzstillstand führen. Das ist Arthur Achatz passiert.«
Vincenzo schüttelte ungläubig den Kopf. »Arthur Achatz ist an einer gewöhnlichen Pflanze gestorben?« Dottoressa Paci pustete sich eine Strähne aus dem Gesicht. Der Versuch, die Locke aus ihrem Blickfeld zu verbannen, war ein hoffnungsloses Unterfangen. »In der Tat. Sie ist in fast ganz Europa verbreitet, wächst an Waldwegen, auf Lichtungen, mit anderen Worten: überall in unserer Südtiroler Natur.«
»Wie würde man das denn anstellen, ohne dass das Opfer es merkt?«
Dottoressa Paci verlor auch die nächste Runde gegen ihre widerspenstige Locke. »Die gesamte Pflanze ist hochgiftig. Allerdings schmeckt sie sehr bitter. Wenn Sie jemanden damit umbringen wollen, ist eine Überdosierung mit entsprechenden Medikamenten am einfachsten. Ich erwähnte ja schon Digimerck. Dieses Medikament wird üblicherweise in Pillenform verabreicht, aber die sind kaum unbemerkt zu verabreichen. Wenn Sie die Pillen zerkleinert in ein Getränk schütten, würde das extrem aufschäumen. In einer Speise würden Sie es sofort schmecken. In Ausnahmefällen bekommen Sie Digimerck aber auch in handlichen kleinen Ampullen. Dann ist es kein Problem, es irgendwo unterzumischen. Wenn Sie denselben Effekt mit Hilfe pflanzlicher Bestandteile erzielen wollen, müssten Sie diese zu einem Brei zerstampfen und unter ein Getränk oder eine Speise mischen, die einen dominanten Geschmack hat. Dann könnte es sein, dass der Betreffende es nicht merkt. Denn bereits eine Dosis von ungefähr zweieinhalb Gramm der Blätter ist tödlich.«
Vincenzo schaute voller Respekt auf die Fotos des roten Fingerhuts, dann wieder zu
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