Das Monster von Bozen
Allerdings hatte diese Perfektion ihren Preis. Über zweihundertfünfzigtausend Euro, ohne Extras wohlgemerkt. Ein gerechter Lohn für seine Genialität.
20
Köln, Donnerstag, 16. Juli
Susanne Wohlfahrt lebte immer noch in Köln. Sie war längst verheiratet und hatte Kinder. Zu einem Gespräch war sie sofort bereit, denn bis heute empfand sie Mitleid für Professor Graf und seine unglückliche Frau, an deren Schicksal sie sich mitschuldig fühlte. »Haben Sie Professor Graf nicht mehr wiedergesehen?«, wollte Vincenzo wissen. »Eine Nacht, und das war’s?«
»Ja, das war alles, abgesehen von den Vorlesungen. Der Professor war ein durch und durch integrer Mann. Er hätte seine Frau niemals vorsätzlich betrogen. Wie das passieren konnte, kann ich mir heute nicht mehr erklären. Wir waren beide nicht draufgängerisch.«
»Und Sie wussten nichts von der Erpressung? Er hat Sie nie darauf angesprochen? Immerhin hätte es auch Sie treffen können.«
»Nein, ich wusste von nichts. Ich war tief erschüttert, als ich davon erfuhr.«
Damit hatte Susanne Wohlfahrt lediglich bestätigt, was Hugo Werner gestern erzählt hatte. Ermittlungstechnisch war ihr Kölnbesuch bis jetzt ein Reinfall. Auf der Suche nach dem Phantom des Erpressers waren sie keinen Schritt weitergekommen. Sie konnten nur hoffen, dass sie von Frau Graf und an der Universität mehr erfahren würden.
Frau Graf lebte in einem parkartigen Anwesen im Kölner Stadtteil Marienburg, einem der nobelsten Viertel Kölns. Lautlos schwang das gusseiserne Tor auf. Über eine großzügige, gekieste Zufahrt gelangte der Wagen mit den vier Polizisten bis zu der gründerzeitlichen Villa, einem Prunkbau, der an beiden Seiten von Türmen eingefasst war. Am Portal empfing sie eine elegant gekleidete, aber verhärmte Dame. Frau Graf war der schwere Schicksalsschlag noch immer anzusehen, anscheinend war sie niemals über ihren Verlust hinweggekommen.
»Bitte treten Sie ein, meine Herren.«
Steiner war in dieser Umgebung tiefe Ehrfurcht anzumerken, auch Marzoli schien beeindruckt. Vincenzo hingegen hatten Protz und Prunk noch nie imponiert. Er ergriff das Wort, während Frau Graf sie mit aufrechtem Gang in ein Foyer führte, das ausreichend Wohnraum für eine dreiköpfige Familie geboten hätte. Die stuckverzierte Decke schmückten meisterhafte Fresken. Auf der gegenüberliegenden Seite führte ein riesiger Aufgang in die oberen Gemächer. »Vielen Dank, dass Sie sich Zeit für uns nehmen, Signora Graf. Sie wissen, warum wir hier sind?«
»Ja, Kriminaldirektor Markowski hat mich informiert. Sie ermitteln in zwei Mordfällen und vermuten einen Zusammenhang mit dem Selbstmord meines Mannes.«
»Gewissermaßen. Ein direkter Zusammenhang dürfte eher nicht bestehen, aber wir haben Grund zu der Annahme, dass der Erpresser Ihres Mannes auch unser Mörder ist.«
Frau Graf blickte zu Boden und sagte leise: »Nach all den Jahren quälender Ungewissheit, wer dieses Monstrum ist, das immer noch frei herumläuft … freudlose Tage, Monate, Jahre, zäh wie Kaugummi, dazu eine teilnahmslose deutsche Polizei. Und jetzt kommen ein paar Commissarios aus Italien daher und erklären mir, dass sie dem Erpresser meines Mannes auf der Spur sind. Ich kann es kaum glauben. Natürlich werde ich alles tun, was in meiner Macht steht, um Ihnen zu helfen.«
Vincenzo empfand tiefes Mitleid für diese Frau, der all ihr Luxus und Prunk nicht über ihren Verlust hinweggeholfen hatte. »Signora Graf, versprechen kann ich nichts, bisher handelt es sich noch um Hypothesen. Aber die Hinweise auf einen Zusammenhang sind bedeutsam. Wenn wir dem Täter auf die Spur kommen, werden Sie es sofort erfahren.«
Frau Graf führte sie nach links in eine große Bibliothek mit fast fünf Meter hohen Wänden, die rundum mit Regalen voller alter Folianten bedeckt waren. Nachdem sie ihnen Getränke angeboten hatte, erzählte sie viel über ihren Mann, ihre Ehe, warum sie ihm den Seitensprung niemals übel genommen hätte. Wirklich interessant wurde es allerdings erst, als sie über die Ämter von Professor Graf sprachen, denn er saß unter anderem in diversen Prüfungsausschüssen. »Signora Graf, ist Ihnen nie in den Sinn gekommen, dass der Erpresser es auf gute Noten abgesehen haben könnte, ein Prädikatsexamen ohne Lernstress?«
»Das war ein naheliegender Gedanke, ich habe Ihre Kollegen auch unmissverständlich darauf hingewiesen!« Fast drohend zeigte sie auf Steiner und Baumeister. »Sie haben das nicht
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