Das Monster von Bozen
aus der Welt schaffen wollte.
***
Das Laufen hatte Vincenzo gutgetan, auch wenn ihm die vielen Schiffe auf dem Rhein und die ganze Stadt zu laut waren. Nun saßen sie im noch nicht sehr besetzten Brauhaus Päffgen, einem Kölner Traditionsbrauhaus aus dem 19. Jahrhundert. Die dunkle Wandvertäfelung und die bunten Fenster ließen den alten Gastraum urig wirken. »Un, wat hat ehr noch gemaht? Hat ehr jet eruskräge?«, hatte Steiner die beiden Italiener neugierig begrüßt.
»… können wir noch nicht beurteilen«, hörte Vincenzo Marzoli gerade sagen, »zumindest haben sich unsere Verdachtsmomente erhärtet. Wenn wir wieder in Bozen sind, werden wir den Herren gehörig auf den Zahn fühlen. Einer von ihnen ist es. Ich persönlich tendiere zu Schimmel, er hatte am meisten Kontakt zu Graf und ist Mitinhaber der SSP. Wenn mit irgendwelchen Fördergeldern gemauschelt wird, ist er der perfekte Drahtzieher.«
Jetzt war Vincenzo hellwach. »Seien Sie nicht zu voreilig, Marzoli. Bedenken Sie, ein Prädikatsexamen haben alle. Wenn hier das Motiv der Erpressung liegt, kommen auch alle in Frage!«
»No jo«, meinte Steiner, »eure Schimmel scheint jo ene avjeleckte Herringsstätz zo sin. Ävver dä soll uns hier nit mehr stüre. Av jetz es Schluss met Deens! Jetz weed et gemödlich, verstande?«, befahl er. »Willi! Brängs de uns ens ene ganze Kranz, dann muss de nit esu off laufe.«
Der Kranz erwies sich als Rondell, das Platz für zahlreiche Kölschstangen bot. Die Kölner Kollegen schienen einiges mit ihnen vorzuhaben, Gott sei Dank ging ihr Zug am nächsten Tag erst um zehn. Der restliche Abend war ausgelassen, Polizeiarbeit kein Thema mehr.
Ein Kranz folgte dem anderen. Nicht ein einziges Mal mussten sie bezahlen, was ihrem beschränkten Budget sehr entgegenkam. Den Höhepunkt des Abends setzte wieder Steiner, der bei Weitem redseliger war als Baumeister.
»Alsu, jetz reicht et mer ävver. Hööt doch ens endlich op met dä blöde Siezerei. Hier wird du gesaht. Also, do heiß jo Vincenzo, un do? Marzoli es jo secher dinge Nohname. Alsu?«
Steiner habe nach Marzolis Vornamen gefragt, erläuterte Baumeister.
»Nun, äh, also … Ich heiße Guiseppe.«
»Gui wat? Dat kann jo kei Minsch usspreche. Hier bes de av jetz der Jupp.«
Trotz einer gewissen Kölschschwere versuchte Vincenzo zu protestieren. »Wir arbeiten aber noch nicht so lange zusammen, wissen Sie, also, weißt du.«
»Schwaad dich nit möd! Wat bes do bloß för ene Pimok. Los, sag do för der Jupp, söns gitt et keine Kranz mih.«
Als Vincenzo spät in der Nacht endlich im Bett lag, fühlte er sich wie in einem rasenden Karussell. Dermaßen abgefüllt war er seit Ewigkeiten nicht mehr gewesen. Es war unglaublich, wie viel die Kölner Polizisten vertrugen. Er fiel bald in einen unruhigen Schlaf, in dem ihm wieder der Dämon in Menschengestalt begegnete. Diesmal stieß er niemanden in Abgründe, sondern rannte und rannte und trieb Pat und Patachon vor sich her, die dabei aus voller Kehle sangen: »Drink doch eene met, stell dich nit esu ahn!«
Er wachte trotz Wecker erst nach neun auf, sein Schädel schien zu platzen. Allein das Aufstehen erschöpfte ihn mehr als seine Bergrunde, und er hatte einen ekelhaften Geschmack im Mund. Zeit zum Frühstücken blieb nicht. Als sie am Bahnhof ankamen, wurden sie von Steiner und Baumeister in Empfang genommen, beide offenbar frisch wie der junge Morgen.
Feierlich ergriff Steiner zum Abschied das Wort: »Junge, wann ehr noch irgendjet wesse wollt, dot einfach aanrofe, mer kömmere uns dröm.«
Und Baumeister fügte hinzu: »Ja, wir helfen jederzeit. Und das nehmt ihr mit, damit ihr auch an uns denkt.« Damit drückte er jedem von ihnen eine Plastiktüte in die Hand.
Im Zug förderten sie jeweils einen Schal mit der Aufschrift 1. FC Köln sowie eine Kölschstange zutage. Für Vincenzo gab es zusätzlich die versprochene Doppel-CD »Die 40 größten Kölschen Hits«, für Marzoli ein kölsches Wörterbuch.
Es waren lustige Tage gewesen, aber Vincenzo hatte den Eindruck, als wären sie keinen einzigen Schritt weitergekommen.
21
Sonntag, 19. Juli
Als Salvatore Gemini das Haus verließ, dämmerte es schon. Er hatte sich das jetzt lange genug angesehen, nun musste er etwas unternehmen, sonst würde es für die SSP und damit für ihn selbst in einer Katastrophe enden. Es war ihm bewusst, dass er damit einen Schritt zu weit ging, nachdem er zuvor schon Grenzen übertreten hatte. Er war es
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