Das Monster von Bozen
»So ein skrupelloses Schwein! Er hat tatsächlich einen Menschen in den Tod getrieben, ohne jede Spur von Mitleid. Und da wir vier Bozener haben, die sich alle mehr oder weniger über diesen Professor kennengelernt haben, wäre es ein unglaublicher Zufall, wenn es keinen Zusammenhang gibt.«
Vincenzo nickte. »Wir müssen im Kölner Umfeld ermitteln. Vielleicht stoßen wir auf etwas, was die Deutschen übersehen haben? Ich gehe nachher gleich zu Baroncini.« Er blätterte in der Akte. »Da ist noch ein Vernehmungsprotokoll, Schimmel wurde wegen des Selbstmordes offiziell vorgeladen. Hier steht, dass er unter anderem dazu befragt wurde, wie er zu seiner lukrativen Dozententätigkeit gekommen ist. Er sagte aus, dass Professor Graf sich persönlich für ihn eingesetzt habe. Warum er das getan habe. Aha, angeblich, weil er von Schimmels außergewöhnlichen Fähigkeiten überzeugt war. Ob er von dem Fehltritt gewusst habe? Hat er nicht. Dann noch ein bisschen blabla. Das ist dünn. Wir wissen nicht einmal, warum Schimmel konkret vorgeladen wurde, ich meine, warum ausgerechnet Schimmel und warum ausschließlich Schimmel? Bin gespannt, wie weit uns Baroncini gehen lässt.«
Vincenzo stand in Baroncinis Büro. Er hatte dem Vice-Questore rasch erklärt, was sie aus der Kölner Akte erfahren hatten, und sah seinen Chef jetzt erwartungsvoll an.
»Und warum wollen Sie in Köln ermitteln, Bellini?«
»Angesichts dieser dünnen Akte habe ich nicht den Eindruck, dass die Deutschen damals sonderlich nachhaltig ermittelt haben. Ich sehe Chancen, dass wir noch mehr rausfinden können. Ich würde gerne mit diversen Leuten sprechen, den Beamten, die Schimmel verhört haben, mit der Uni, mit der Frau des Professors, mit Susanne Wohlfahrt. Ich würde gerne das gesamte Umfeld durchleuchten. Finden wir den Erpresser von damals, dann haben wir unseren Mörder, davon bin ich überzeugt.«
Baroncini nickte und lächelte ganz leicht. »Das entbehrt nicht einer gewissen Logik, ich glaube wie Sie nicht an Zufälle. Sie wissen natürlich, dass Sie in Deutschland keine eigenständigen Ermittlungen durchführen können?«
»Wie weit dürfen wir denn gehen?«, wollte Vincenzo wissen.
Baroncini rieb sich nachdenklich das Kinn. »Eigentlich gar nicht. Ich frage mich, ob wir nicht anders an die Sache herangehen sollten.«
»Was stellen Sie sich denn vor, Dottore?«
Abermals ließ sich Baroncini zu einem Lächeln hinreißen. »Was halten Sie denn von einer Dienstreise, Commissario?«
»Ich soll nach Köln fahren?«
»Ja, mit Marzoli. Ich werde versuchen, in Köln informelle Amtshilfe zu beantragen. Ich erkläre denen, dass ein alter Fall in Köln mit Morden in Südtirol in Verbindung steht. Vielleicht rollen die das dann auf Sparflamme noch mal auf. Es geht ja bloß darum, dass Sie einige Befragungen durchführen. Sie schnüffeln nicht bei denen rum und wollen ihnen auch keine Fehler nachweisen. Ich kümmere mich gleich darum.«
Ungeduldig warteten Vincenzo und Marzoli in Vincenzos Büro auf eine Nachricht des Vice-Questore. »Was halten Sie eigentlich von dieser obskuren Aufsichtsbehörde, die wie vom Erdboden verschwunden ist?«, fragte Vincenzo seinen Kollegen.
Marzoli konnte nicht widerstehen. Er musste erst über den Schreibtisch greifen und sich wieder ein paar von diesen herrlichen Cantuccini aus der Etagere des Commissario nehmen. Woher bekam er die nur? Andächtig kauend ging er auf Vincenzos Frage ein, der erstaunt war, wie ein Mensch es schaffen konnte, sich einen kompletten Cantuccino in den Mund zu stopfen und dabei noch verständlich zu sprechen. »Das kann doch nur bedeuten, dass es noch andere gibt, die bei der SSP kriminelle Machenschaften vermuten.«
In diesem Moment betrat Baroncini das Büro. »Meine Herren, ich habe mit dem Leiter der Direktion Kriminalität bei der Kölner Polizei gesprochen. Der Mann heißt Walter Markowski. Leicht war das nicht, das Problem des permanenten Personalabbaus scheinen die in Deutschland auch zu haben. Außerdem ist das ganze Vorgehen nicht korrekt, das widerstrebt mir ein wenig. In Köln scheinen sie das aber nicht so eng zu sehen. Sie wollen uns helfen, weil dieser Professor Graf in Köln ein hohes Ansehen genoss. Sie beide nehmen am Mittwoch den ersten Zug von Bozen nach Köln, um sechs Uhr dreißig. Signora Sacchini hat Ihnen zwei Zimmer reserviert, im Hotel Drei Könige, direkt am Hauptbahnhof, direkt am Dom und erfreulich günstig. Am Bahnsteig werden Sie von Detlef Steiner und
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