Das Monster von Bozen
mir, dann können Sie etwas Interessantes lesen.«
Keine fünf Minuten später saßen sie Dottore Baroncini in seinem schweren Ledersessel gegenüber. »Meine Herren, erklären Sie mir das.«
»Glauben Sie mir, Dottore«, antwortete Vincenzo beschwichtigend, »wir sind nicht weniger überrascht als Sie. Von uns kommt das nicht.«
»Ich muss unbedingt wissen, wo die undichte Stelle ist. Der Capo della Polizia hat mich bereits zu sich bestellt. Dem ist es im Prinzip egal, wer die Presse informiert hat. Der will einen Verantwortlichen, und der bin ich, so ist das in diesem Geschäft. Ich muss das an Sie weitergeben, weil Sie im Unterschied zu mir unmittelbar dran sind an den Ermittlungen.«
»Wir wissen es trotzdem nicht. Ich würde meine Hand dafür ins Feuer legen, dass es niemand aus der Questura oder der Gerichtsmedizin war. Das könnte sich keiner leisten, ohne seinen Job zu gefährden.«
»Wer immer die Presse informiert hat, wird damit vermutlich weitermachen. Spätestens heute Abend werden sie es auch in den Fernsehnachrichten bringen. Wissen Sie, was ich schnellstens brauche?«
»Ich nehme an, einen Mörder?«
»Sie sagen es, Ispettore. Dann erzählen Sie mal, was Sie in Köln erfahren haben. Wie weit sind Sie, haben Sie einen Hauptverdächtigen?«
Vincenzo und Marzoli unterrichteten Baroncini über den Stand der Ermittlungen. Sie mussten eingestehen, auf ihrer Reise keinen entscheidenden Schritt weitergekommen zu sein. Und ihr bisheriger Hauptverdächtiger hatte soeben ein lückenloses Alibi vorgelegt.
»Ich befürchte, Dottore«, sagte Vincenzo resigniert, »das werden noch langwierige Ermittlungen. Sicherlich, wir können die jetzt noch drei Hauptverdächtigen immer wieder in die Mangel nehmen und hoffen, dass der Täter irgendwann einbricht. Wenn er tatsächlich unter ihnen zu finden ist! Wir können auch Laura Nucci zwingen, ihre Aussage unter Eid zu wiederholen, aber was wird uns das bringen?«
»Egal, machen Sie das alles. Ich muss Aktivitäten nachweisen, gezielte Aktivitäten. Verdächtige verhören ist prima, Aussagen unter Eid ebenso. Und sehen Sie zu, dass Sie herausfinden, wer die Presse informiert hat. Gehen Sie zur Redaktion, sprechen Sie mit diesem Journalisten.«
Auf diesen Gedanken war Vincenzo selbst schon gekommen, das war sein nächster Schritt. Als sie draußen waren, besprach Vincenzo mit Marzoli die dringendsten Aufgaben: »Ispettore, kümmern Sie sich um die Aussage von Signora Nucci. Ich fahre jetzt in die Redaktion und knüpfe mir diesen Fasciani vor. Danach treffen wir uns wieder hier.«
Kurz darauf saß Vincenzo vor dem unaufgeräumten, chaotischen Schreibtisch von Fernando Fasciani, der soeben eine Zigarette in einem bereits überquellenden Aschenbecher ausdrückte. Der Journalist erfüllte das Klischee des Sensationsreporters. Er hatte die Ärmel seines Hemdes hochgekrempelt, sein Krawattenknoten verdiente diese Bezeichnung nicht mehr, das dichte angegraute Haar fiel ihm in ungekämmten Locken bis auf die Schultern, und er trug eine Nickelbrille. Vincenzo schätzte ihn auf Mitte vierzig.
Fasciani blickte Vincenzo über den Rand seiner Brille an. »Commissario Bellini, Sie wissen um das Pressegeheimnis. Ich darf Ihnen diese Fragen nicht beantworten. Aber selbst wenn ich Ihnen helfen wollte, ich könnte es nicht. Hier hat jemand angerufen, anonym, und gesagt, dass er eine Riesenstory für uns hätte. Natürlich sind wir nicht so naiv, jedem Anrufer jede Geschichte zu glauben und sie zu veröffentlichen. Aber in diesem Fall war klar, dass der Mann Detailkenntnisse besaß. Er sagte aus meiner Sicht die Wahrheit. Dann ist es unsere Pflicht, die Südtiroler Öffentlichkeit zu informieren.«
Es war unverfroren, mit welcher Selbstverständlichkeit sich diese Reporter mitunter um ihre Verantwortung drückten. »Darüber zu spekulieren, ob die Mafia in Südtirol angekommen ist, nennen Sie informieren? Dann hätten Sie sich wenigstens vorher schlaumachen sollen, mit welchen Methoden die Mafia sich ihrer Opfer entledigt. Vergiften gehört nicht dazu.«
Fasciani zündete sich die nächste Zigarette an. »Es ist Ihr Job, sich allein auf Fakten zu stützen. Wir sind freier, wir dürfen spekulieren, Dinge so ausmalen, dass sich unsere Leser angesprochen fühlen.«
Fasciani war in der Tat ein Sensationsreporter, der niemals darüber nachdachte, ob das, was er tat, ethisch richtig war. Für ihn zählte nicht die Wahrheit, sondern Schlagzeilen und Auflagen. Nichtsdestoweniger war
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