Das Monstrum
darauf einlassen. Sie bot Gardener einen Drink an, den dieser nach einer langen, nachdenklichen Pause akzeptierte. Der Whiskey rann glatt hinunter
und erzeugte ein gutes Gefühl, aber er hatte kein Verlangen nach einem zweiten – nun, kein großes Verlangen. Während er jetzt hier nun mit gefülltem Magen saß und den Himmel betrachtete, kam er zu dem Ergebnis, dass Bobbi recht gehabt hatte. Sie hatten sämtliche konstruktiven Gespräche hinter sich.
Die Zeit für einen Entschluss war gekommen.
Bobbi hatte eine gewaltige Mahlzeit verschlungen. »Du wirst kotzen, Bobbi«, hatte Gardener gesagt. Es war sein Ernst gewesen, aber er hatte trotzdem lachen müssen.
»Nee«, sagte Bobbi ruhig. »Ich habe mich noch nie besser gefühlt.« Sie rülpste. »In Portugal ist das ein Kompliment für den Koch.«
»Und nach einer guten Nummer …« Gard hob ein Bein und ließ einen fahren. Bobbi lachte herzlich.
Sie spülten das Geschirr (»Hast du noch nichts erfunden, was das tut, Bobbi?« – »Kommt schon noch, nur die Ruhe.«), dann gingen sie in das kleine schäbige Wohnzimmer, in dem sich seit der Zeit von Bobbis Onkel kaum etwas verändert hatte, und sahen die Abendnachrichten an. Sie waren nicht sonderlich erfreulich. Im Mittleren Osten schwelte es wieder, Israel flog Luftangriffe gegen syrische Truppen im Libanon (und hatte dabei versehentlich eine Schule bombardiert – Gardener zuckte zusammen, als er die Bilder verbrannter, schreiender Kinder sah), die Russen rückten auf die Bergfestungen der afghanischen Widerstandskämpfer vor, ein Staatsstreich in Südamerika.
In Washington hatte das NRC eine Liste von neunzig Kernkraftwerken in siebenunddreißig Staaten veröffentlicht, deren Sicherheitsprobleme als »mittelschwer bis ernsthaft« eingestuft wurden.
Mittelschwer bis ernsthaft, großartig, dachte Gardener und spürte die alte ohnmächtige Wut sich in ihm bewegen
und winden, um wie Säure in ihm zu fressen. Wenn wir Topeka verlieren, das ist mittelschwer. Wenn wir New York verlieren, das ist ernsthaft.
Er stellte fest, dass Bobbi ihn ein klein wenig traurig ansah. »Immer dasselbe Lied, nicht?«, sagte sie.
»Richtig.«
Als die Nachrichten vorbei waren, sagte Anderson zu Gardener, dass sie ins Bett ging.
»Um halb acht?«
»Ich bin immer noch fix und fertig.« Und so sah sie auch aus.
»Okay, ich werde mich auch bald aufs Ohr hauen. Ich bin auch müde. Es waren verrückte Tage, aber ich bin mir nicht sicher, ob ich schlafen kann; in meinem Kopf wirbelt alles durcheinander.«
»Möchtest du ein Valium?«
Er lächelte. »Ich habe gesehen, dass sie immer noch da sind. Ich passe. Du bist diejenige, die in den vergangenen Wochen den einen oder anderen Schlummertrunk hätte brauchen können.«
Der Preis des Staates Maine dafür, dass er sich Noras Entscheidung, keine Anklage zu erheben, anschloss, war gewesen, dass Gardener ein Beratungsprogramm besuchen musste. Das Programm hatte sechs Monate gedauert; das Valium dauerte offenbar ewig. Gardener hatte es seit drei Jahren kaum noch eingenommen, nur ab und zu – normalerweise, wenn er auf Reisen ging – befolgte er die Verschreibung. Sonst konnte es passieren, dass ein Computer seinen Namen ausspuckte und ein Psychologe, der sich mithilfe des Staates Maine ein paar Extrapiepen verdiente, aufkreuzte und sich vergewissern wollte, dass sein Kopf auf die richtige Größe geklempnert blieb.
Nachdem sie ins Bett gegangen war, hatte Gardener den
Fernseher abgeschaltet, eine Weile in Bobbis Schaukelstuhl gesessen und Buffalo Soldiers gelesen. Nach kurzer Zeit hörte er sie schnarchen. Er vermutete, dass Bobbis Schnarchen Teil einer Verschwörung war, ihn wach zu halten, aber im Grunde machte es ihm nichts aus – Bobbi hatte immer geschnarcht, das war die Folge einer schiefen Nasenscheidewand, und dieses Schnarchen hatte Gardener immer gestört, aber gestern Abend hatte er festgestellt, dass es Schlimmeres gab. Zum Beispiel die beklemmende Stille, mit der sie auf der Couch geschlafen hatte. Das war viel schlimmer gewesen.
Gardener hatte einen Augenblick den Kopf hineingesteckt, hatte Bobbi in einer viel typischeren Bobbi-Anderson-Schlafstellung erblickt, nackt bis auf eine Pyjamahose, die kleinen Brüste entblößt, die Decke unter die Beine gestrampelt, eine Hand unter der Wange, die andere neben dem Gesicht, den Daumen fast in ihrem Mund. Mit Bobbi war alles klar.
Deshalb war Gardener in den Garten herausgekommen, um seinen Entschluss zu fassen.
Bobbis Garten
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