Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Monstrum

Das Monstrum

Titel: Das Monstrum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
Vom Netzwerk:
Verwirrung, die sich in eine schreckliche aufdämmernde Gewissheit verwandelte.
    Es fiel ihr schwer zu gehen. Die Luft wurde zäh, elastisch. Sie konnte spüren, wie sie ihre Wangen berührte, ihre Stirn; sie konnte spüren, wie sie ihre Brüste flachdrückte.
    Ruth senkte den Kopf und ging weiter, sie hatte den Mund zu einer angestrengten Grimasse verzogen, die Sehnen an ihrem Hals traten hervor. Sie sah aus wie jemand, der gegen stürmischen Wind geht, obwohl die Bäume zu beiden Seiten der Straße kaum die Blätter bewegten. Das Bild, das ihr jetzt einfiel, war dasselbe wie das, welches Jim Gardener eingefallen war, als er versucht hatte, mit der Hand in Bobbi Andersons Boilerluke zu greifen; lediglich der Maßstab war anders. Ruth war, als wäre die ganze Straße mit einem unsichtbaren Nylonstrumpf abgesperrt worden, so groß, dass er einer Titanin gepasst hätte. Ich habe schon von Strumpfhosen im Nackt-Look gehört, dachte sie hysterisch, aber das ist lächerlich.

    Der Druck ließ ihre Brüste schmerzen. Und plötzlich begannen ihre Füße auf dem Boden auszurutschen. Panik ergriff sie. Sie hatte den Punkt erreicht und überschritten, an dem ihre Fähigkeit, Vorwärtsbewegung zu erzeugen, die Elastizität der unsichtbaren Barriere überstieg. Jetzt schob sie sie wieder zurück.
    Sie mühte sich ab, aus eigener Kraft hinauszukommen, bevor das geschah, aber sie verlor den Halt und wurde grob in die Richtung zurückgestoßen, aus der sie gekommen war; ihre Füße scharrten über den Boden, und sie riss erschrocken die Augen auf. Es war, als würde sie von einem riesigen Luftballon zurückgestoßen.
    Einen Augenblick verloren ihre Füße völlig den Kontakt mit dem Boden. Dann landete sie auf den Knien, schürfte sich beide böse auf und zerriss ihr Kleid. Sie stand auf und ging, vor Schmerzen weinend, zu ihrem Auto zurück.
    Sie saß fast zwanzig Minuten hinter dem Steuer und wartete darauf, dass das Pochen in den Knien nachließ. Gelegentlich fuhren Autos und Lastwagen in beiden Richtungen auf der Derry Road entlang, und einmal, während sie da saß, kam Ashley Ruvall mit seinem Fahrrad daher. Er hatte seine Angel dabei. Er sah sie und hob grüßend die Hand.
    »Hi, Mischisch McCauschland!«, rief er piepsend und grinste. Das Lispeln war eigentlich nicht verwunderlich, dachte sie benommen, schließlich hatte der Junge keine Zähne mehr. Er hatte nicht ein paar, sondern alle verloren.
    Trotzdem spürte sie, wie Kälte sie durchströmte, als der Junge rief: »Wir lieben Schie alle, Mischisch McCauschland …«
    Nach sehr langer Zeit ließ sie den Dart an, wendete um hundertachtzig Grad und fuhr durch die heiße Stille nach Haven Village zurück. Während sie auf der Main Street zu ihrem Haus fuhr, war ihr, als sähen viele Leute sie an, deren
Augen von einem Wissen erfüllt waren, welches mehr verschlagen als weise war.
    Ruth schaute in den Rückspiegel und sah den Uhrturm am anderen Ende der kurzen Main Street.
    Die Zeiger näherten sich drei Uhr.
    Vor dem Haus der Fannins hielt sie an, holperte achtlos über den Bordstein und würgte den Motor ab. Sie machte sich nicht die Mühe, den Zündschlüssel herumzudrehen. Sie saß nur hinter dem Lenkrad, während rote Anzeigen am Armaturenbrett flackerten, und schaute in den Rückspiegel, während ihr Verstand sacht entschwebte. Als sie wieder zu sich kam, schlug die Rathausuhr sechs. Sie hatte drei Stunden verloren … und einen weiteren Zahn. Die Stunden konnte sie nicht mehr wiederfinden, wohl aber den Zahn, einen Schneidezahn, der in ihrem Schoß auf dem Kleid lag.
    12
    Ihre Puppen redeten die ganze Nacht mit ihr. Und sie dachte, dass nichts, was sie sagten, eigentlich Lügen waren … das war das Allerschrecklichste. Sie saß im grünen, kranken Herzen ihres Einflusses und hörte ihnen zu, wie sie ihre verrückten Märchen erzählten.
    Sie sagten ihr, sie hätte völlig recht, wenn sie glaubte, dass sie verrückt wurde; ein Röntgenbild ihres Gehirns, sagten sie, überhaupt von jedermann in Haven, würde einen Neurologen schreiend davonlaufen lassen. Ihr Gehirn veränderte sich. Es begann zu … »werden«.
    Ihr Gehirn und ihre Zähne – oh, Verzeihung, ihre Exzähne – begannen beide zu »werden«. Und ihre Augen … ihre Farbe veränderte sich, oder nicht? Ja. Ihr Dunkelbraun
verblich zu Mandelbraun … und hatte sie gestern im Haven Lunch nicht bemerkt, dass sich auch Beach Jernigans leuchtend blaue Augen veränderten? Wurden sie nicht auch zu

Weitere Kostenlose Bücher