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Das Monstrum

Das Monstrum

Titel: Das Monstrum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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darauf, dass es Zeit wurde.
    15
    Dieser Sonntag war ein Bilderbuchsommertag in Maine: klar, hell, warm. Um Viertel vor eins zog Ruth McCausland ein hübsches blaues Sommerkleid an und verließ ihr Haus zum letzten Mal. Sie schloss die Eingangstür ab und stellte sich auf Zehenspitzen, um den Schlüssel an den kleinen Haken zu hängen. Ralph hatte einmal gesagt, jeder Einbrecher, der sein Geld wert war, würde als Erstes über der Tür nach dem Schlüssel suchen, aber Ruth hatte es dennoch so gemacht, und es war niemals in dem Haus eingebrochen worden. Im Grunde genommen, vermutete sie, kam es nur auf Vertrauen an, und Haven hatte sie noch nie im Stich gelassen. Sie hatte die Puppen in Ralphs alten Segeltuchsack gestopft und den Sack die Vortreppe heruntergeschleift.
    Bobby Tremain schlenderte pfeifend vorbei. »Soll ich Ihnen helfen, Missus McCausland?«
    »Nein, danke, Bobby.«
    »Schon gut.« Er lächelte. Sein Lächeln hatte noch ein paar Zähne – nicht viele, aber ein paar, wie die letzten Latten in einem Zaun, der ein Spukhaus umgab. »Wir lieben Sie alle.«

    »Ja«, sagte sie und hievte den Seesack auf den Beifahrersitz. Schmerzen schossen durch ihren Kopf. »Oh, wie gut ich das weiß.«
    (was denkst du Ruth wohin gehst du)
    (frische Fische fischt Fischers Fritz)
    (sag es uns Ruth sag uns was die Puppen dir befohlen haben)
    (Brautkleid bleibt Brautkleid)
    (sag Ruth ist es das was wir wollen oder hältst du noch durch)
    (der Whiskeymixer mixt Whiskey für den Whiskeymixer)
    (es ist was wir wollen, nicht? es gibt keine Veränderungen, oder?)
    Sie sah Bobby einen Augenblick an, dann lächelte sie. Bobby Tremains Lächeln wurde ein wenig unsicher.
    (mich lieben? ja … aber ihr habt immer noch Angst vor mir, und das aus gutem Grund)
    »Geh weiter, Bobby«, sagte sie sanft, und Bobby ging weiter. Er sah einmal über die Schulter zurück, und sein jugendliches Gesicht war besorgt und misstrauisch.
    Ruth fuhr zum Rathaus.
    Es hüllte sich in sonntägliches Schweigen, eine verstaubte Kirche der Verwaltung. Ihre Schritte klackten und hallten. Der Seesack war zu schwer zum Tragen, daher schleifte sie ihn über den gewachsten Flurboden. Das erzeugte ein trockenes, schlangenähnliches Zischen. Sie zerrte ihn Stufe um Stufe drei Treppenabsätze hoch, wobei ihre Hände die Schnur umklammert hielten, mit der sie ihn zugebunden hatte. Ihr Kopf pulsierte und schmerzte. Sie biss sich auf die Lippen, und zwei Zähne kippten mit verfaulter Leichtigkeit zur Seite. Sie spie sie aus. Ihr Atem war wie raues Stroh in ihrer Kehle. Durch die hohen Fenster fiel staubiges Licht in die dritte Etage.

    Sie schleifte den Sack den kurzen, unerträglich heißen Flur entlang – hier oben gab es nur zwei Räume, auf jeder Seite einen. In ihnen waren alle Unterlagen der Stadt archiviert. Wenn das Rathaus Havens Gehirn war, dann war hier, in der ruhigen Hitze des Dachbodens, sein papiernes Gedächtnis, das zurückreichte bis in jene Tage, als die Stadt Ilium, Montgomery, Coodersville und Montville Plantation gewesen war.
    Die Stimmen flüsterten und raschelten um sie herum.
    Einen Augenblick blieb sie stehen,und sah aus dem letzten Fenster hinaus, hinab auf den kurzen Abschnitt der Main Street. Vor Cooder’s Market, der an Sonntagen von zwölf bis sechs geöffnet hatte, parkten etwa fünfzehn Autos. Das Geschäft schien belebt zu laufen. Leute gingen ins Haven Lunch, um Kaffee zu trinken, Ein paar Autos fuhren vorbei.
    Es sieht so normal aus … es sieht alles so verdammt normal aus!
    Sie erlebte einen Schwindel erregenden Augenblick des Zweifels … dann sah Moose Richardson nach oben und winkte, als könnte er sie sehen, wie sie zu diesem verstaubten Fenster im dritten Stock hinausschaute.
    Und Moose war nicht der Einzige. Eine Menge Leute sahen sie an.
    Sie duckte sich, drehte sich um und holte die Stange zum Fensteröffnen, die dort, wo der Flur in einer Sackgasse endete, in einer entfernten Ecke stand. Sie hakte die Stange in den Ring in der Decke, um die Klappleiter herunterzuziehen. Nachdem sie das getan hatte, stellte sie die Stange weg, beugte sich zurück und sah nach oben in den Turm. Sie konnte das mechanische Ticken und Rasseln des Uhrwerks hören und dazwischen das leise Rascheln schlafender Fledermäuse. Da oben schien eine ganze Menge von
ihnen zu sein. Die Stadt hätte sie schon vor Jahren beseitigen sollen, aber das Ausräuchern war widerwärtig – und teuer. Wenn das Uhrwerk wieder kaputtging, würde man die Fledermäuse

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